Kunstvolle Schriftzeichen:A wie Abraham

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Großer Augenblick: Die liberale jüdische Gemeinde Beth Shalom bekommt eine neue Torarolle. Ein Jahr lang hat ein Sofer aus London die fünf Bücher Mose aufgeschrieben - eine Kunst für sich

Von Franziska Gerlach

Ein Federkiel kratzt übers Pergament. Während so mancher Münchner am Sonntagnachmittag gerade in der Wahlkabine darüber nachdenkt, wo er denn nun das Kreuz setzen soll, zieht Rabbiner Tom Kučera kurze, schwarze Tintenstriche. Ganz langsam, ganz vorsichtig, damit jetzt, beim allerletzten Buchstaben des hebräischen Textes mit den hübschen Krönchen über den Schriftzeichen, auch ja nichts mehr schief geht. Die Kameras klicken, ein kleines blondes Mädchen reißt den Mund auf. Dann ist sie fertig, die neue Torarolle der liberalen jüdischen Gemeinde Beth Shalom in München.

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, schreibt gemeinsam mit Sofer Bernard Benarroch in die neue Tora. (Foto: Catherina Hess)

Dazu muss man zunächst einmal sagen, dass eine Tora viel mehr ist als einfach nur ein Dokument, das die fünf Bücher Mose beinhaltet. Dass eine Gemeinde eine gebrauchte Tora erhält - okay. "Aber eine Tora neu schreiben zu lassen, das ist schon sehr ungewöhnlich", erklärt Kučera. Der Mann mit der orangefarbenen Krawatte und der Kippa auf dem Kopf steht im Gedränge, schüttelt Hände, verteilt das eine oder andere Wangenküsschen, begrüßt, ein fröhliches Masel tov allerseits. Im Oktober 2006 hat Kučera das Amt des Rabbiners in Beth Shalom übernommen, und sein Jubiläum zu zehn Jahren im Dienst ist überhaupt der Grund, weshalb die Gemeinde eine neue Torarolle bekommt.

Die neue Torarolle wird feierlich durch den Hof getragen. (Foto: Catherina Hess)

Eine solche Rolle hat ihren Preis: Etwa 30 000 Euro kostet die Fertigung, die mit Spenden zusammenkamen. Ein Jahr lang hat ein Sofer, wie der Toraschreiber auch genannt wird, an dem guten Stück gearbeitet. Und weil es in Europa nicht mehr allzu viele Menschen gibt, die das beherrschen, wurde Bernard Benarroch, ein Sofer aus London, mit der Aufgabe betraut. 350 000 Buchstaben zählt der Text, wie der Brite eben noch erklärt hat. Dann setzt er sich hin, klappt seine Köfferchen mit der Tinte und dem Federkiel auf und legt los: 41 Buchstaben hat der Sofer an diesem Nachmittag noch zu schreiben. 41, so viele Menschen haben Geld gegeben für die neue Tora, und nun dürfen sie gewissermaßen mitschreiben, so will es die Tradition. Auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, verewigt sich in dem Dokument. Gerade nimmt ein Herr mit schlohweißen Haaren neben dem Sofer Platz, die Männer stecken die Köpfe zusammen, wechseln ein paar Worte auf Hebräisch, dann legt Schlomo Tidhar dem Sofer seine Hand aufs Handgelenk. Die Hände der Männer schweben nun gemeinsam übers Pergament, noch ein paar schwarze Striche, und zack, schon ist der große Moment wieder vorbei, für den Tidhar eigens aus dem Allgäu angereist ist. 85 Jahre musste der Jude alt werden, so sagt er später, um die "Einführung" einer Torarolle in einer Gemeinde mitzuerleben. Das ist schon "etwas ganz Besonderes". Der Sofer habe ihn nach dem Vornamen seines Vaters gefragt, und dann das "A" von "Abraham" an der Stelle in den Text gefügt, wo eben noch ein "A" gefehlt habe.

Zu ihrem Schmuck gehören auch zwei Kronen. (Foto: Catherina Hess)

Und es reicht ein Blick in die aufgeregten Gesichter um den langen Tisch, auf dem die kostbare Pergamentrolle nun liegt, um die Sehnsucht zu erahnen, mit der die Rolle in München erwartet wurde. Denn ursprünglich hätte die Torarolle schon Ende Mai in die Gemeinde eingeführt werden sollen. Eine Computerpanne bei der Fluggesellschaft war schuld daran, dass Benarroch nicht wie geplant nach München kommen konnte. Für Beth Shalom ist es die vierte Torarolle, drei Stück besitzt die Gemeinde bereits, zwei davon sind allerdings recht groß und schwer, gerade Mädchen und Jungen können sie bei ihrer Bat oder Bar Mizwa kaum tragen. Eine kleinere ist nicht mehr in einem so guten Zustand, wie sie es eigentlich sein sollte. Zwar könne man die Schrift noch immer lesen, sagt Jan Mühlstein, der Vorsitzende der Gemeinde Beth Shalom. "Aber es wird langsam kritisch." Gut also, dass es nun eine weitere, nagelneue Rolle gibt in Beth Shalom. Und wie es sich gehört für eine Tora, wird dieser zur Prozession im Hof der Gemeinde auch gleich noch ihr Mantel aus Samt übergezogen. Dazu noch zwei Krönchen. Eine Königin.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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