Kunst und Theorie:Was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht

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Michael Hofstetters Arbeiten leuchten oft nur kurz auf, manchmal existieren sie wenige Stunden. Nun hat der Künstler einen Fotoband veröffentlicht, in dem das Flüchtige auf Dauer festgehalten ist

Von Sabine Reithmaier

Are you working on anything else right now?" Bloß gut, dass wir uns diese Einstiegsfrage erspart haben. Wäre ja peinlich angesichts des verschachtelten Turms, den Michael Hofstetter aus dieser Floskel gebaut hat. Das Modell des "Tempels" hat er eben auf den Tisch seines Arbeitszimmers gestellt. Kein Atelier, den Begriff lehnt der Künstler ab. "Ich habe ein total gebrochenes Verhältnis zu der Idee eines Ateliers als künstlerischer Produktionsort. Was sollte ich dort machen?"

Alles nicht so einfach, wenn man, wie Michael Hofstetter nicht nur Künstler, sondern auch Kunsttheoretiker ist. Anlass des Besuchs bei ihm ist "Vol 3", ein vor kurzem erschienener, mit großartigen Fotos gestalteter Bildband, der seine oft sehr flüchtigen künstlerischen Interventionen zwischen 2011 bis 2019 dokumentiert. "Vol 1" und "Vol 2" der monografischen Trilogie existieren noch nicht, Hofstetter hat sie aber schon genau durchgeplant. Band zwei soll sich mit der Idee einer Natur zweiten Grades befassen, der erste Band sich der Black Box als Genius loci der Fotografie widmen.

In seinen Kunstprojekten geht es nicht darum, Bilder zu malen oder Skulpturen zu fertigen, sondern um das Begreifen von Zusammenhängen. Hofstetter reagiert auf das kulturelle Archiv und die symbolische Ordnung, mit der er aufgewachsen ist. "Der rote Faden ist die ständige Rückkoppelung: Ich kopple meine eigene Situation zurück an die Bedingungen dieser Situation." "Toxic Sculpture 2" auf der ersten Doppelseite des Bildbandes zeigt ihn als Zuschauer, sitzend auf einem Sofa, geschaffen aus einem auf der Straße gefundenen, mit Ballons gepolsterten Schriftzug eines Möbelherstellers. Die Wohnzimmeratmosphäre unterstreicht eine Lagerfeuerskulptur, Engel pissen ins Feuer. Zuschauer Hofstetter blickt auf einen Monitor, dort läuft ein Film, in dem IS-Terroristen gerade das Mosul Museum zerstören. "Ich bin keine objektive Figur, bin Mitakteur in diesem Spiel, meine Sensationslust ist eingeschrieben und angeklagt", sagt der Künstler. Und ergänzt, dass die Terroristen parallel zum Museum auch Assads Foltergefängnis zerstörten.

Michael Hofstetter, 1961 geboren in Stuttgart und seit vielen Jahren in München lebend, hat erst Malerei und Grafik studiert, bevor er zur Fotografie wechselte, für ihn "der Mastermind der Idee, man könne den Augenblick verewigen und ihn für alle Zeiten aufbewahren und einfrieren." Er sieht sich in der Tradition des "Büros Berlin", einer Künstlergruppe um Raimund Kummer, Hermann Pitz und Fritz Rahmann, die in den Achtzigerjahren mit ihren temporären Interventionen im öffentlichen Raum bekannt wurden und Wohnungen, Küchen, Keller bespielten. "Das hat mich stark geprägt, diese interventionistische, nicht ewig währende und jenseits des White Cubes bestehende Kunst." Seine Arbeiten leuchten oft nur kurz auf, legen kleine Spuren, zeigen die Möglichkeit einer anderen Welt, einer Utopie. "Hinterher sind sie meist Müll, es sei denn, ein Museum behauptet, es sei Kunst, dann wird es zum Fetisch."

Manchmal geht die Zerstörung eines Werks rasend schnell. In Odessa auf der Biennale der zeitgenössischen Kunst 2015 dauerte es keine drei Stunden. Für seine Intervention hatte sich Hofstetter einen Satz aus einem Brief Kasimir Malewitschs gewählt, den dieser im Mai 1916 an seinen Kritiker Alexander Benois schrieb: "Meine Philosophie ist: die Zerstörung der alten Städte und Dörfer alle 50 Jahre, die Vertreibung der Natur aus der Kunst ..." Hofstetter schrieb dieses Bekenntnis mit Schablonen und rotem Sand auf die Gartenwege des Museums für Zeitgenössische Kunst. Dessen Chef hatte ihm geraten, den Satz auf Ukrainisch hinzuschreiben, Russisch komme angesichts der politischen Lage nicht gut an. Aber Hofstetter bestand auf der Originalversion und musste zusehen, wie die Besucher den Schriftzug zügig durch Unachtsamkeit ruinierten, bis schließlich nur mehr ein roter Schatten auf den Wegen zurückblieb. "Mein Herz hat geblutet, mein Kopf fand es großartig."

Meist passiert der Verfall langsamer. Wie in der Intervention "Verspielen", die er 2012 mit Kay Winkler für den Kunstpavillon des Alten Botanischen Gartens in München gestaltete. Winkler legte eine riesige, gipserne, durch Eisenstaub rostig wirkende Taucherglocke in die Mitte des Raums, Hofstetter ließ in seiner mit "avec et sans gaz" betitelten Arbeit Ballons aus schwarzem Gummi darüber schweben, die dunklen Blasen bedruckt mit einer griechischen Vasenzeichnung. Erst verdunkelten die Ballons das Oberlichtfenster, aber im Lauf der Zeit mit schwindendem Helium sanken sie herab. "Vom aufgeblähten Wollen blieb die reine Materialität übrig", sagt Hofstetter, der auch Dozent an der Akademie der Bildenden Künste ist. Die leeren Hüllen passten gut zum Pavillon, einer heroischen Setzung des Dritten Reichs, dem die Luft auch schnell ausging.

Ist das auf Dauer nicht frustrierend, seine Kunstwerke immer nur vergehen zu sehen? Hofstetter schüttelt den Kopf. Noch frustrierender sei es, wenn einem aus oberflächlichen Gründen auf die Schulter geklopft werde. "Man vertrocknet auf dieser Zustimmung." Konfrontationen scheut er nicht. Im Augsburger Textilmuseum verhüllte er 2015 zwei große Schauvitrinen, in denen normalerweise die Geschichte der Mode von der Biedermeierzeit bis in die Gegenwart dargestellt ist. Durch Öffnungen in den Stoffen blickten die Besucher auf die Kostüme wie auf Geister, während sie die Motive auf den Außenstoffen, Szenen aus dem Sklavenhandel, an die Produktion der Baumwolle in den USA erinnerten. Den anderen Stoff schmückten frivol-galante Malereien. "Es war der absolute Skandal, weil die zwei Prunkvitrinen verhängt waren", erinnert sich Hofstetter. "Aber ich bin eh nie der Publikumshit."

Im Moment überlegt er gerade, was er in der Ausstellung im Kunstmuseum Kloster Unserer Lieben Frauen in Magdeburg zeigen soll. Das Museum, Herausgeber von "Vol 3", hat vor drei Jahren seine Neonarbeit "Upcycling 2013" gekauft, um seine neogotisch verbrämte Ostfassade "netter und lebendiger" (Hofstetter) zu gestalten. Er stutzt kurz ob dieser seltsamen Attribute, die so gar nicht zum Wortschatz des Kunsttheoretikers passen. Vielleicht sei menschlicher der bessere Ausdruck, sagt er dann. "Upcycling 2013", das im Entstehungsjahr auch im Haus der Kunst zu sehen war, besteht aus 70 in Form und Farbe sehr unterschiedlichen Neon-Buchstaben, die ursprünglich Werbebotschaften verkündeten. Jetzt zitieren sie vielfarbig, heiter und leicht eine Sentenz aus Theodor W. Adornos "Ästhetischer Theorie": "Die Wirklichkeit der Kunstwerke zeugt für die Möglichkeit des Möglichen." Ein Satz, der den für Hofstetter so wichtigen utopischen Gehalt der Kunst beschreibt.

Dass Museen jetzt auch abwechslungsreiche "Spaßhäuser" sein müssen und nicht nur als "Grabmal der Kunst" gelten wollen, findet nicht seine Zustimmung. Kunst dürfe nicht nur den Illustrator von Livestyle-Geschichten geben und unter dem Zwang agieren, schnell verstanden zu werden, findet er. Inzwischen bleibe viel zu viel auf der Strecke: "Das Offenbleiben der Dinge, die Kultur des Aufschubs und des Geheimnisses - alles vorbei."

© SZ vom 13.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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