Kulturgeschichte:Als die Bilder laufen lernten

Lesezeit: 2 min

Der zweite Band der Trilogie "100 Jahre Eingemeindung Moosach 1913-2013" erzählt ausführlich von der ausgeprägten Kinokultur in dem Stadtteil, die sich für fast sieben Jahrzehnte hielt

Von Anita Naujokat, Moosach

Kaum war das Dorf Moosach nach München eingemeindet, eröffnete auch schon eines der ersten Kinos der Stadt: das Lichtspieltheater Moosach. Zur Premiere am Kirchweihsonntag, man schrieb den 19. Oktober 1913, warb es mit einem "großartigen Programm" in der Nymphenburger Zeitung und in den Neuhauser Nachrichten. Als hätte es die zuvor noch selbständige Gemeinde gar nicht erwarten können, etwas städtischer zu werden. Manche damals gezeigten Streifen wie "Das Testament des Goldsuchers" oder "Der große Trick und Löwenspuck" würden heute keinen Cineasten mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Doch das Moosacher Publikum genoss es. Schon zuvor beim Volksfest 1909 hatte sich bei der abendlichen Vorführung eines Kinematographen "mit stets neuen Bildern" die ungebremste Leidenschaft für bewegte Bilder gezeigt.

"Es war die große Sensation", dokumentiert der vor Kurzem vom Moosacher Geschichtsverein in Zusammenarbeit mit der Geschichtssammlung Laturell/Mooseder (GSLM) herausgegebene zweite Band der Trilogie zum Jubiläum "100 Jahre Eingemeindung Moosach 1913-2013". Und auch viele Münchner seien in den Unionsbräu-Ausschank gekommen, obwohl die elektrische Trambahn damals nur bis zum Westfriedhof verkehrte. Festgehalten ist auch, dass die "Adler-Lichtspiele" an Wochenenden als "Cinema Italia" von Ende 1962 an das erste Gastarbeiter-Kino in ganz Deutschland boten.

Die Kinokultur in Moosach hielt sich - unterbrochen von Inhaberwechsel und kriegsbedingten Schließungen - fast sieben Jahrzehnte. Eines gab es sogar im Untergeschoss des Olympia-Einkaufszentrums (OEZ). Kunden und Kinder sollten sich mit "Auch die Engel essen Bohnen" und "Jagdgeschwader Wildkatze" beim Shoppen entspannen. Doch das aus Amerika stammende Konzept ging nicht auf. Als letztes schloss 1986 das besonders bei Jugendlichen beliebte Autokino an der nördlichsten Grenze des Stadtbezirks. Es musste dem Bau des Rangierbahnhofes weichen. Seitdem hat Moosach kein einziges Kino mehr.

Die Kinogeschichte ist nur eine Episode in dem fast 150 Seiten starken zweiten Band im DIN-A4-Format auf Hochglanzpapier. Reich bebildert und mit angenehm kurzen Texten erzählt er fein untergliedert die Entwicklung zu einem der großen und noch wachsenden Stadtteile Münchens mit mehr als 50 000 Einwohnern. Anlass zu der auf drei Bänden angelegten Reihe hat 2013 die Ausstellung im Olympia-Einkaufszentrum des Geschichtsvereins über die Eingemeindung Moosachs 1913 gegeben. Dafür hatten Volker D. Laturell und seine Mitarbeiter nicht nur ihr Archiv auf den Kopf gestellt; sie bekamen zudem so viel neues Material aus der Bevölkerung, das bei Weitem nicht alles gezeigt werden konnte. Auch war schon während der Ausstellung die Nachfrage nach einer weiteren Veröffentlichung der Bilder und Texte derart groß, dass sich die Organisatoren zur Herausgabe der Reihe entschieden.

Band zwei der Trilogie könnte vor allem auch für die jüngeren Generationen interessant sein, weil sie vieles hautnah miterlebt haben: von den Olympischen Spielen über den U-Bahn-Bau und den Kampf gegen den Transrapid bis hin zum Bau des Rangierbahnhofes, der als "folgenreichste Landschaftsgestaltung in Moosach seit der Eiszeit" beschrieben wird.

Nachdem der erste Band, der zunächst eine Auflage von 1000 Stück hatte, nachgedruckt werden musste, haben die Herausgeber die Auflage des zweiten gleich auf 1500 Exemplare erhöht. Zu beziehen ist er für 9,50 Euro bei Hugendubel im OEZ, in Moosacher Geschäften und über den Geschichtsverein. Und wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist und weiter in der Geschichte Moosachs gründeln will, für den haben die Herausgeber eigens noch einige Exemplare von Band eins zurückgehalten. Der dritte Band wird dann im kommenden Jahr erscheinen. Er befasst sich mit Moosach auf dem Weg ins 21. Jahrhundert.

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: