Kultur in der Krise:Kunst im Regelkorsett

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Veranstalter von Musikfestivals fordern Nachbesserungen

Von Michael Zirnstein, Nürnberg

Es klingt stolz und traurig zugleich: "So hätte es werden können" steht auf der Internetseite des "Musikfest ION". Darunter das Programm des fast 70 Jahre alten Nürnberger Festivals für geistliche Musik, 31 Konzerte inklusive einer langen Nacht der Musik zur Eröffnung, "Sing Beethoven" mit 250 Schülern und des ehrwürdigen Orgelwettbewerbs. Alles abgesagt - verflixtes Corona. Doch Festivalleiter Moritz Puschke klagt gar nicht, er hat weitsichtig schon im März ein Virus-sicheres Stream-Ersatzprogramm aufgestellt. Überdies sei er offen für alternative, kleine Formate, vielleicht wären gar einige Überraschungskonzerte mit Publikum möglich unter dem Hashtag "#nahbeidir". So hoffte Puschke zumindest nach "intensiven Gesprächen mit der bayerischen Regierung", da habe er eine "große Offenheit" gespürt, Kulturschaffende wie ihn "als Ratgeber zu involvieren". Deshalb war nach der Pressekonferenz von Ministerpräsident Markus Söder und Kunstminister Bernd Sibler zu den Lockerungen des Kulturbetriebs seine "Enttäuschung umso größer".

Den Rat der Branche hatten die Entscheider wohl vernommen, doch in wesentlichen Punkten nicht berücksichtigt. "Wir brauchen konkrete Umsetzungsstrategien", sagt Puschke, die "unklaren Verfügungen" hätten "Nervosität" in die Szene gebracht und schon jetzt zu einem Überbietungswettstreit beim Verhandeln mit den Kommunalbehörden geführt. Andererseits sei genau die Festlegung auf 50 Anwesende drinnen und 100 draußen zu starr. "Klassikkonzerte sind so kostendeckend nicht zu veranstalten", sagt Puschke. Wie dem ION geht es vielen. 100 von ihnen haben sich zum "Forum Musik Festival" zusammengeschlossen, um einheitliche Regeln in ganz Deutschland einzufordern.

Da viele Veranstalter in Bayern von staatlichen Subventionen abhängig sind und womöglich nicht die Stimme gegen den Förderer erheben würden, hat das Forum stellvertretend - etwa für den Kissinger Sommer, das Mozartfest Würzburg oder die Orff-Festspiele Andechs - einen Brief an Söder geschrieben. Darin erkennt man dessen "Bemühungen" an, sieht aber dringend Nachbesserungsbedarf: "Die formulierten Handlungsrichtlinien für die Wiederaufnahme des Veranstaltungsbetriebes sind in mehreren Punkten nicht schlüssig und in der betrieblichen Praxis überwiegend nicht anwendbar." Es brauche einheitliche, gerechte Handlungsanweisungen, einen Insolvenzschutz und Planungssicherheit (angesichts der gerade anstehenden Förderrunden für 2021). Das Tragen von Masken während der Veranstaltung sei überflüssig. Vor allem aber solle die erlaubte Besucherzahl der Raumgröße angepasst sein. "50 Leute verlieren sich doch in den Kirchen St. Lorenz und St. Sebald", mit 150 Gästen in drei Konzerten am Tag käme er hin. Und obwohl er seine Kräfte endlich in seine eigentliche Aufgabe stecken möchte, nämlich "Kunst zu produzieren", bietet er seine Hilfe auf höchster Ebene an: "Wir sind Veranstaltungsprofis, wir können uns auch mit den Pop-Kollegen zusammentun und einen Beratungsdienst fürs Ministerium aufstellen."

© SZ vom 05.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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