Kultur in der Krise:Hilfe mit Hindernissen

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Traditionsreich: Das charmante Filmkunstkino "Studio Isabella" zeigt neben ausgewählten aktuellen Filmen auch Werke in Originalsprache. (Foto: Florian Peljak)

Kulturschaffende fürchten weiter um ihre Existenz und mahnen im Landtag neue Denkweisen der Politik an

Von Michael Zirnstein

Was erwarten Bayerns Kulturmacher vom Ministerpräsidenten? Markus Söder (CSU) muss sich nicht gleich als einer jener Superhelden aufschwingen, mit denen er auf Tassen gedruckt bei Pressekonferenzen seine Kultur-Kennerschaft zu demonstrieren versucht. Oder was wollte er sonst jüngst mit "Spiderman" suggerieren - dass die Lage klebrig und versponnen ist? Es würde den Kreativen des Landes reichen, wenn Söder Wort hält. Wenn er, wie Ende Oktober versprochen hat, "vorangeht" mit einer optimierten, dem Bund vorauseilenden "Künstler-Selbstständigen-Förderung". Fast zwei Monate später ist keiner der 120 Millionen aus dem Vorläufer-Modell übrigen Euro an einen einkommenslosen Künstler überwiesen worden; nun, Mitte Dezember, ist die Hilfe für November noch nicht mal beantragbar. Wie von beteiligten Beratern aus der Kulturbranche zu hören ist, steht die in Aussicht gestellte staatliche Zahlung eines fiktiven Unternehmerlohns von 1180 Euro monatlich (die Söder "bis zum Ende der Pandemie" versprach) von Dezember an ganz auf der Kippe. Derweil teilt Söders zuständiger Kunstminister Bernd Sibler (CSU) mit: "Das bayerische Soloselbstständigenprogramm zum Ersatz des Unternehmerlohns steht ganz kurz vor der Antragstellung." Bisher habe es nicht gestartet werden können, da zahlreiche Abstimmungen mit Blick auf die Bundeshilfen notwendig waren. "Unser Ziel ist es nach wie vor, ein Programm aus einem Guss mit Zahlungen für die Monate von Oktober bis Dezember zu starten."

Die Verzögerung kommt in der zersplitterten Kultur-Lobby - die sich hier einmal einig ist - nicht gut an. Bernd Schweinar, der Vorsitzende des Verbandes für Popkultur in Bayern, erkennt bei Söder durchaus ein persönliches Engagement für die Kultur, "aber sein politischer Wille zerbröselt in der Verwaltung", die nicht in den Krisenmodus schalten könne. Die Politik habe in den neun Monaten seit Aufkommen der Corona-Krise nichts gelernt, die Umsetzung der Beschlüsse ginge an Existenznot und Lebensrealität der Künstler vorbei. Diese Kritik übte der "bayerische Rock-Intendant" bei einer Sachverständigen-Anhörung zur Zukunft der Kultur im Landtag, die die Oppositionsparteien SPD, FDP und Die Grünen einberufen hatten. Aus allen Sparten und Ebenen, vom nun unterbeschäftigten Schauspieler Miguel Abrantes Ostrowski bis zum derzeit überstrapazierten Augsburger Kulturreferenten Jürgen Enninger äußerten sich zehn Betroffene im Video-Stream, etliche weitere schilderten ihre Lage ausführlich schriftlich. So unterschiedlich die Situation etwa am NS-Dokuzentrum in München oder im bayerischen "Club des Jahres", der Posthalle Würzburg, ist, so destillierten die Gastgeber Sanne Kurz (Grüne), Wolfgang Heubisch (FDP) und Volkmar Halbleib (SPD) doch zentrale Problemfelder heraus: die Hilfe für freie Künstler, die politische Kommunikation und den Neustart.

Da kann Markus Söder von einem staatlich gesäten "Kulturfrühling" fantasieren, aber solange keine konkreten Pläne für Besucherzahlen vorliegen, können die Veranstalter keine Konzerte buchen und in den ohnehin erlahmten Vorverkauf geben. Spätestens im März müsse wieder ein Betrieb mit 20, 30 Prozent der Kapazitäten möglich sein, sagte Südpol-Konzerte-Chef Patrick Oginski, "damit die Dinge wieder in Fluss kommen" und das Publikum nicht völlig entwöhnt werde. Ähnlich geht es den schicksalhaft verflochtenen Kinos, Film-Produzenten und -Verleihern, für die Thomas Negele, Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, sprach: "Man kann keine Filme herausbringen mit Sicht auf zwei, drei Wochen, wir können nicht ständig aufsperren und wieder schließen, sonst ist der Kinomarkt weg vom Fenster." Er setzt bei einer zeitigen Öffnung auf eine zentrale Gäste-Registrierungs-App, die Corona-Warn-App des Bundes ist für ihn "voll daneben", weil sie eben freiwillig sei.

Solche Forderungen könnten durchaus auf Widerstand in der Bevölkerung stoßen. Und hier wäre nun eine feinere Sprache in der Politik nötig, wie mehrfach angemahnt wurde. Das beginnt bei einer verständlichen Vermittlung aller Förderhilfen und endet beim Überbau, also einer Wertschätzung der Kultur. Wenn regierende Politiker Theater in einem Atemzug mit Bordellen nennen, sei dies ein kommunikatives Desaster, sagte Jochen Schölch vom Münchner Metropoltheater. Künstler mit Haltung und Hang zur Selbstausbeutung hätten ganz andere Aufgaben als zu unterhalten, sie seien "Seismografen für Beben in der Gesellschaft". Und anstatt Spielstätten als "Superspreader" hinzustellen, sollten Politiker eher deren wissenschaftlich erwiesene Sicherheit betonen, damit das Publikum wieder Vertrauen fasst, forderte Bernd Schweinar: "Wenn wir aus dem Lockdown kommen, muss die Kultur bei den Ersten sein, die wieder öffnen dürfen."

Und wer wird dann noch auftreten? Während private Spielstätten und Agenturen durch die funktionierende staatliche Förderung gerettet scheinen, hängen die freien Schauspieler, Kabarettisten und Musiker, aber auch zugehörige Tontechniker oder Einlasskräfte "völlig in der Luft", so Oginski. Die Staatsregierung lasse die selbständigen Künstler verhungern, sagte Sigi Diewald vom Verband für Kultur-und Kreativwirtschaft. Christian Schnurer verlangte für die 2500 im Berufsverband Bildender Künstler in Bayern organisierten "Einzelkämpfer", die wie er als Filmbauer, Künstler und Verbandssprecher aufgrund komplexer Arbeitsverhältnisse wieder nicht antragsberechtigt seien, neue Denkweisen von der Politik: "Dafür haben wir im Begleitausschuss des Kunstministeriums gekämpft", man sei aber an "komplett unverständlichen Haushaltsproblemen" gescheitert: "Also, ob linke Tasche, rechte Tasche, am Ende ist es doch egal, wer es zahlt." Dass das versprochene Geld endlich an die freien Kulturschaffenden fließt, will Bernd Schweinar nun mit Hilfe prominenter Künstler wie Stofferl Well, Hannes Ringlstetter und Luise Kinseher durch eine öffentliche Petition erreichen. "Wir versuchen, den Landtag wieder als Souverän ins Spiel zu bringen."

© SZ vom 16.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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