Kultur im Netz:Hilfe zur Selbsthilfe

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Der Bayerische Rundfunk kuratiert und produziert mit seiner neuen "Kulturbühne" digitale Angebote - und solidarisiert sich so mit den Kunstschaffenden des Freistaats

Von Rebecca Reinhard und Isabell Schirra

Die Kunst ist lang - und kurz ist unser Leben", sagt Wagner in Goethes Faust. Zu Corona-Zeiten könnte man das so variieren: Das Angebot der vielen Online-Kulturplattformen in Bayern und darüberhinaus ist auf einen Umfang angewachsen, der es fast unmöglich macht, den Überblick zu behalten. Das Stadtportal muenchen.de etwa hat daher sogar eigens einen Streaming-Kalender eingeführt.

Braucht es also wirklich noch eine weitere Plattform? Der Bayerische Rundfunk scheint davon überzeugt und hat vergangene Woche die digitale "BR Kulturbühne" initiiert. Sie soll nicht nur "eine Art Ersatz-Bühne für die Kulturschaffenden in Bayern sein", sagt Sylvie Stephan, Leiterin des Programmbereichs Kultur. Sondern vor allem auch dem Publikum ermöglichen, gebündelt auf Kulturinhalte, die der BR ohnehin in Fernseh-, Radio- und Online-Formaten zu bieten hat, zuzugreifen. Unter der Rubrik "Kultur Netzwerk" finden sich außerdem Links zu Streams externer Kulturinstitutionen, wie etwa der "Kammer 4" der Münchner Kammerspiele. Sylvia Griss, Leiterin der Redaktion "Kultur aktuell", sieht das als Mehrwert: "Weil man durch das Klicken zu den verschiedenen Partnern auch immer tiefer in die Kulturwelten einsteigen kann und sich das nicht mühselig auf unterschiedlichen Plattformen zusammensuchen muss."

Live aus den Wohnzimmern: Das Münchner Rundfunkorchester spielte am Ostersonntag Pachelbels "Kanon in D-Dur". (Foto: BR/Screenshot SZ)

Doch das Format soll mehr sein als simple Übersichtsplattform. Denn für die BR Kulturbühne werden auch exklusive Inhalte "von Kulturschaffenden in Bayern zur Verfügung gestellt", wie Sylvie Stephan es formuliert. In den Videos der Rubrik "Heimspiele" gibt Doris Dörrie etwa Schreibtipps, Helge Schneider empfiehlt seine Film-Favoriten. Das Künstler-Ehepaar Axel Hacke und Ursula Mauder hat sogar seinen Podcast exklusiv bei der BR Kulturbühne platziert. "Ich spüre - so tragisch und dramatisch die Krise ist - gleichzeitig auch eine hohe Kreativität und hoffe, dass dadurch auch neue Ideen entstehen, wie wir Kultur künftig erleben und was digital im kulturellen Leben alles möglich sein kann", betont Sylvie Stephan. So überraschte das Münchner Rundfunkorchester das Publikum am Ostersonntag mit Johann Pachelbels "Kanon in D-Dur" - in Form einer Videoschaltung aus den verschiedenen Musiker-Wohnzimmern. "Aber auch der Partnergedanke ist bei uns ganz wesentlich", betont Stephan. Das im Videoformat erscheinende "Tagebuch eines geschlossenen Theaters" des Residenztheaters München etwa kann direkt über die BR Kulturbühne abgerufen werden. Bei dieser Art der Kooperation setzt man aktuell noch auf staatliche Institutionen, da diese ohnehin ein gewisses "Qualitätssiegel tragen", wie Sylvie Stephan sagt - und weil sich dort die Rechteprüfung wesentlich simpler gestaltet. Unter kulturbühne@br.de können aber auch Vorschläge eingereicht werden, die der BR nach Prüfung einbinden will. So solle auch kleineren Institutionen, die nicht staatlich gefördert sind, ein Forum geboten werden.

Regelmäßig nun will der BR seine Kulturbühne bespielen. Diesen Donnerstag mit dem Münchner Schriftsteller und Tatort-Drehbuchautor Friedrich Ani. Für den BR exklusiv hat er "Lyrik gegen Lagerkoller" verfasst. Am Abend gibt Akkordeonvirtuose und Spontankomiker Maxi Pongratz der urbayerischen Heimatband Koafelgschroa eine Session im Live-Stream. Seine Texte, die mal absurd-komisch, mal mit existenzialistischem Ernst daherkommen, funktionieren auch aus dem Wohnzimmer heraus - das bewies der Oberammergauer bereits mit Instagram-Videos mit Weißbier und seiner bunten Ziehharmonika.

Friedrich Ani rezitiert "Lyrik gegen Lagerkoller", ...

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(Foto: Mirjam Knickriem/photoselection)

... Katja Riemann liest aus ihrem neuen Buch, ...

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(Foto: Christina Pichler)

... und Maxi Pongratz spielt Akkordeon und singt im Live-Stream.

Bis etwa fünf Uhr morgens streamt die Kulturbühne weiter: Da wird die junge Content-Plattform des Bayerischen Rundfunks Puls mit einer Zusammenstellung aus vergangenen Livemusik-Sessions den Sender übernehmen. Die Kulturbühne überträgt Acts wie Alice Merton, Giant Rocks und Leoniden. Wer nicht so lange durchhält, kann die Puls-Nacht auch am nächsten Morgen in der Mediathek nachschauen. Samstag liest dann Katja Riemann um 12 Uhr für die Kulturbühne exklusiv aus ihrem Buch "Jeder hat. Niemand darf" (Fischer Verlag) vor.

Schnell verirrt man sich in diesem vielfältigen und durchaus fein kuratierten Programm - bereits gestreamte Inhalte sind schwer wiederzufinden. Einen Wochen- oder zumindest Tagesüberblick gebe es derzeit noch nicht, meint Sylvie Stephan. Lediglich morgens werde auf der Internetseite angekündigt, was am jeweiligen Tag zu erwarten sei. Umso lohnenswerter dürfte ein Blick auf die Social-Media-Auftritte bei Twitter sein. Auch dort werden die Inhalte häppchenweise präsentiert. Und dennoch: Die Idee der Solidarität ist integraler Bestandteil der Plattform und dürfte höher zu gewichten sein als Probleme der Übersichtlichkeit. Die Kulturbühne verstehst sich auch als Plattform für Kulturförderung.

Die neuen Digitalimpulse, die die Kulturbühne fraglos setzt, dürften beim Bayerischen Rundfunk einen Weg in zukünftige Ausspielmöglichkeiten weisen. Wie genau es mit ihr weitergeht, sei zwar noch unklar. Bestimmt aber wolle man nach der Krise Angebote der Kulturbühne in den Normalbetrieb überführen, sagt Stephan. Besonders der Mitmachgedanke, der Social-Media-Formaten eigen ist, solle weitergedacht werden.

BR Kulturbühne, abrufbar unter www.br.de/kultur, Twitter: @BR_Kultur

© SZ vom 16.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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