Künstlerschmuck:Scherben-Gedicht

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Tausende Scherben durchbohrte der Künstler für Ringe. (Foto: Philipp Schönborn)

Hubertus von Skal hat sich auf das Fertigen von Ringen konzentriert - und das Verse-Schmieden

Von Ira Mazzoni, München

Das Atelier ist noch das alte. Hubertus von Skal hat sich vor 50 Jahren im Akademieviertel die Hälfte eines Wasch- und Gartenhauses zum Werkraum umgebaut. Noch heute geht er einmal die Woche in sein "Paradies", das im Schatten eines hochgewachsenen japanischen Ahornbaumes liegt, den er vor einem halben Jahrhundert an dieser Stelle selbst gepflanzt hat. Das Atelier ist nur noch zum kleinsten Teil Goldschmiedewerkstatt. Es ist Denkraum, in dem Hubertus von Skal keine Ringe mehr schmiedet, sondern Verse, die so konkret sind wie seine Schmuck-Arbeiten und mit stets gebrochenen Zeilen so wenig geschliffen, wie die farbigen Glasscherben, die er anstelle von kostbaren Steinen verwendete. Die gesamte Rückwand des Ateliers ist oberhalb der eingezogenen weiß gestrichenen Holzbühne mit 100 DIN-A4-Papieren behängt, auf die der Künstler mit seinem in grüne Farbe getauchten Zeigefinger während der Corona-Zeit meditative Merksätze zu visueller Poesie verdichtete, die um den Ring kreist, um Scherben und um all die Gesichte, die darinnen zu finden sind. Hubertus von Skal weiß Worte so sparsam wie Gold zu wiegen, dabei auf die Magie des Raums als gedanklichen Ort vertrauend.

Damit fing alles an: 1971 sicherte sich Hubertus von Skal, der als Student der Kunstakademie mit abstrakten Farbfeldbroschen und witzigen Assemblagen aufgefallen war, einen kleinen Laden. Dieser lag zentral, vis-à-vis der Oper. Der Hauseigentümer, Martin Huber, stellte den Raum mäzenatisch mietfrei zur Verfügung. Zusammen mit seinem damaligen Freund Hermann Jünger eröffnete Skal dort die erste Avantgarde-Galerie für Schmuck.

Das tiefe Schaufenster wurde zur Bühne für eine Kunst, die sich gegen die Edel-Juweliere der Maximilianstraße wendete. "Cardillac" nannten die beiden Rebellen ihre Galerie, Bezug nehmend auf den Goldschmied in E.T.A Hoffmanns Erzählung "Das Fräulein von Scuderi", der alle seine Kunden meuchelte, um wieder in den Besitz seiner Kunstwerke zu kommen, deren ideellen Wert er durch Gebrauch verraten sah. Eine entsprechende Textstelle war auf der Glasscheibe zu lesen, die das Schaufenster hinterfing. "Wir haben die Leute mehr geschreckt als gelockt", erzählt Hubertus von Skal rückblickend. Es ging nicht ums Verkaufen. Es ging um das Aufmerkenlassen der Passanten durch zeitgenössische Environments.

Nach zweieinhalb Jahren gaben Skal und Jünger ihre Galerie auf. Jünger lehrte an der Akademie. Skal umkreiste mit Mitteln konzentrierender Raum-Installationen weiter das Wesen seiner Kunst jenseits aller Anwendung. Klaus-Jürgen Sembach bot ihm dafür 1975 und 1978 in der Neuen Sammlung den institutionellen Rahmen. Die beiden Ausstellungen "Zehn Fenster" und "Sechs Räume" sind legendär. Schmuckstücke gab es dort nur vereinzelt zu sehen. Schon damals ging es Skal um das Geistige in seiner Kunst. "Schmuck machen", sagt der bald 80-Jährige, hat mich nie interessiert. Im Ring, erklärt der Künstler, mache ich mir ein Gegenüber. Der Fingerring ist das einzige Schmuckstück, das der Träger, die Trägerin immer selbst sieht.

Seit den Achtzigerjahren hat sich Skal auf das Fertigen des ältesten und intimsten Schmuckstücks konzentriert. Lange habe er gebraucht, bis er sich getraut habe, die Scherben zu durchbohren wie Knöpfe. "Das war in meiner Ausbildung zum Goldschmied tabu, einen Stein oder auch Glas zu durchbohren", erklärt er die strenge Ethik der Zunft. In einem Jahrzehnt hat Skal Tausende von Löchern in mühevoller Arbeit gebohrt und unbedeutenden Scherben damit in aller Bescheidenheit melancholisch poetisiert. Der Zyklus ist abgeschlossen. Gelegentlich findet ein Ring noch ein neues Gegenüber.

© SZ vom 08.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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