Kritiker:"Es ist geradezu slapstickartig"

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Oliver Jahraus war Bologna-Beauftragter der LMU - heute leidet er selbst an den Strukturen

Von Jakob Wetzel, München

"Ich bin vom Paulus zum Saulus geworden", sagt Oliver Jahraus. Und das hat damit zu tun, dass es einen Unterschied gibt zwischen Theorie und Praxis. Jahraus ist Germanistik-Professor an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Von 2009 bis 2011 war er dort zentraler Bologna-Beauftragter. Er sei seinen Kollegen beratend beigestanden und habe bei Problemen vermittelt, sagt er: "Damals habe ich sehr für Bologna getrommelt." Doch mittlerweile ist er in die Lehre zurückgekehrt. "Und da habe ich gemerkt: Es ist einiges schwieriger geworden."

Das erste Problem ist ein grundsätzliches: Das Fach in seiner Breite und mit seiner Geschichte komme mittlerweile deutlich zu kurz, klagt Jahraus. Warum? "Die studienbegleitenden Prüfungen haben alles verändert." Wo früher Zeit gewesen sei, Interesse zu entfalten, müssten die Studierenden nun ständig an die nächste Prüfung denken. Gewissenhafter studieren würden sie dadurch aber nicht, lediglich effektiver. "Es ist geradezu slapstickartig", sagt Jahraus: Die erste Frage im Seminar laute stets, was man tun müsse, um eine gute Note zu erhalten. Dieser Mentalitätswandel sei das Hauptproblem, sagt Jahraus. Wobei er den Studenten keinen Vorwurf machen wolle. Die Struktur sei eben so.

Verschärfend kommt in den Augen des Germanisten hinzu, dass es keine umfassende Magisterprüfung mehr gibt: Bislang sammelten die Studenten im Laufe des Studiums Themen, über die sie am Ende ihre Prüfung ablegen wollten. Auch das ist nun nicht mehr nötig. Im Bachelor-Studium wird jedes Modul separat geprüft, das Ergebnis fließt in die Note ein, und der Stoff ist abgehakt. Am Ende schreiben die Studenten eine Arbeit und legen eine mündliche Prüfung über dieselbe ab. Das Weitere spielt keine Rolle mehr.

Jahraus spricht auch von konkreten Problemen in den Seminaren. So müssten Dozenten nun erheblich mehr Zeit darauf verwenden, Grundwissen zu erklären. Voraussetzen könne man kaum etwas; in einem Lyrik-Seminar zum Beispiel könne man nicht davon ausgehen, dass alle Fachbegriffe bekannt sind. Das war zwar schon im Magisterstudium so, aber damals sei der Spielraum größer gewesen, sagt er: Die Studenten hätten zur Not das Seminar wechseln oder im nächsten Semester ein anderes belegen können. Jetzt aber zähle jedes Modul für die Schlussnote, kein Student dürfe zurückbleiben. Das nötige Vorwissen zur formalen Teilnahmebedingung eines Kurses zu machen, sei verboten: Jeder Student habe Anspruch auf einen geregelten Studienverlauf, erklärt Jahraus. Bedingungen dürfe man nur im Ausnahmefall stellen, sonst gerate dieser Verlauf bei manchen womöglich ins Stocken.

Und dann die Prüfungen selbst: Im Bachelor-Studiengang könne man von den Studenten keine Referate mehr verlangen, die man benote, sagt Jahraus: "Das wäre eine mündliche Prüfung, die für den Abschluss zählt, und dafür wäre ein Beisitzer nötig." Geprüft werde daher vermehrt schriftlich, mit entsprechend gestiegenem Aufwand. Und aus demselben Grund gebe es streng genommen keine Anwesenheitspflicht mehr. Zwingend teilnehmen müsse ein Student den Vorgaben zufolge nur an den Prüfungen. Was dazu gedacht war, die Prüfungsvorbereitung zu erleichtern, lasse sich auch missbrauchen, sagt Jahraus. Das Problem sei zwar "nicht epidemisch, aber spürbar".

Was tun? Aus dem System komme man nicht heraus, aber es gebe Stellschrauben, sagt der Professor. Er denkt etwa an strengere Aufnahmebedingungen für ganze Studiengänge. Doch es sei auch nicht alles schlechter geworden, versichert er: Das Germanistik-Studium werde nun weniger als Warteraum wahrgenommen, in dem Studenten hocken, bis sie für ihr eigentliches Wunschstudium zugelassen werden. Zudem sei die Abbrecherquote gesunken. Prüfungen seien kein Hoheitsrecht von Professoren mehr, auch promovierte Dozenten dürften sie abnehmen. "Und auch wenn mir viele Kollegen nicht zustimmen werden, ein Vorteil ist auch: Das Studium ist kürzer." Der Bachelor sei kein Abschluss für Abbrecher, und trotz allem noch besser als sein Ruf.

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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