Kritik:Künstler-Symbiosen

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Erstmals allein auf der Unterfahrt-Bühne: Westafrikas wichtigster Jazz-Export Lionel Loueke. (Foto: Ralf Dombrowski/Unterfahrt)

Gitarrist Lionel Loueke überrascht in der Unterfahrt

Von Oliver Hochkeppel, München

Ihr Verhältnis symbiotisch oder "Vater-Sohn-Beziehung" zu nennen, wäre vielleicht übertrieben, eng ist es in jedem Fall: Als der heute 47-jährige Gitarrist Lionel Loueke - in Benin und der Elfenbeinküste aufgewachsen, in Paris und am Berklee College of Music in Boston ausgebildet - im Jahr 2001 an einem weltweiten Wettbewerb für ein Stipendium am Thelonious Monk Institute of Jazz teilnahm, war Herbie Hancock der Juryvorsitzende. Louke gewann zwar das Stipendium nicht, dafür aber die Aufmerksamkeit Hancocks: Wenig später durfte er bei dessen Alben "Possibilities" und "River: The Joni Letters" mitspielen. Bei Louekes Major-Label-Debüt ("Karibu" für Blue Note) war wiederum Hancock als Gast dabei. Von 2010 an saß Loueke dann bei allen großen Tourneen der mittlerweile 80-jährigen Jazz-Pianolegende in der Band. Auch im vergangenen Sommer wären sie gemeinsam auf Welttournee gegangen.

Wäre, hätte, sollte - wir alle wissen, warum Loueke stattdessen in seiner neuen Wahlheimat Luxemburg festsaß. Immerhin nutzte er die Zeit für ein neues eigenes Projekt, naheliegenderweise sein erstes reines Soloalbum: "HH" heißt es, was natürlich für Herbie Hancock steht, seinen großen Mentor. Am Samstag, auf den Tag genau ein Jahr nachdem die deutschen Clubs in den Lockdown gingen, saß Loueke nun - auf "Europa-Tour" mit ganzen vier Live-Stream-Konzerten - auf der Bühne der Unterfahrt, um das vorzustellen.

Ganz pur breitete er an seiner Frameworks-Gitarre die Qualitäten aus, die ihn zu einem Weltstar gemacht haben: die eigenständige Kreuzung westafrikanischer Elemente (von typischen Highlife-Gitarrenmotiven bis zum Klick-Gesang) mit bombastischer Technik und einem lyrischen Improvisationsjazz, der alle harmonischen und rhythmischen Möglichkeiten nutzt. Alles in der Umkehrung dessen, was man bislang kannte: In Hancocks Band ist Loueke eine fixe Farbe im zweifelhaften Fusion-Overkill. Hier liefern Hancocks Kompositionen die - oft kaum hörbare - Grundierung von Louekes bei aller Virtuosität völlig unprätentiösem, ruhigem und umso ausdrucksvollerem Spiel. Eigentlich totgespielte Nummern wie das überwiegend getappte "Rockit" bekamen so neues Leben eingehaucht, selbst "Cantaloupe Island" erklang ebenso überraschend wie bezaubernd in einem völlig eigenen, ruhigen Flow zwischen Funk und Afrobeat. Eine Lehrstunde in Sachen künstlerischer Identität und respektvollem Umgang mit Vorbildern.

© SZ vom 15.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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