Krisenszenarien in der Großstadt:Lebensmittelkarten für die Krise

Aber eigentlich sollte sich jemand anderes um ausreichende Nahrungsmittelreserven kümmern: die Münchner selbst. "Die private Vorsorge ist leider in Vergessenheit geraten", bedauert Kaehs. Vor allem junge Leute hielten es heute für selbstverständlich, immer alles kaufen zu können. Nach dem Motto: "Lebensmittelvorräte brauche ich nicht. Selbst wenn am Sonntag Besuch kommt, kann ich ja noch an der Tankstelle etwas holen." Christian Kaehs findet das unvernünftig und legt den Leuten ans Herz, sich wenigstens an die Empfehlungen des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz zu halten. Aber weil das eben nicht jeder macht, stellt sich doch die Frage: Gibt es tatsächlich diese geheimen Lebensmittelvorräte, von denen manchmal gemunkelt wird?

"Ja", sagt Christian Kaehs. Wo genau die sind, will er nicht sagen. Nur so viel, dass die Vorräte nicht in der Stadt selbst gelagert werden. Die seien aber noch nie gebraucht worden, selbst nicht bei den großen Hochwassern in der jüngeren Vergangenheit. Damit die Sachen nicht verderben, würden sie manchmal als Hilfslieferung in Krisengebiete geschickt, wo sie dann zügig verbraucht werden können. Das Lager wird dann wieder aufgefüllt, mehr passiert dort nicht.

Viele Geheimnisse

Auch Lebensmittel- und Versorgungskarten halten die Behörden vor. "Früher hatten wir welche für vier Wochen, aber einige haben wir nach der Wiedervereinigung an die neuen Bundesländer abgegeben", sagt Kaehs. Der Gedanke hinter diesen Marken ist, dass die Verteilung von Lebensmitteln und anderem, wie Kleidung oder Bettdecken, nicht davon abhängen soll, wie reich die Leute sind. "Wenn es nicht mehr genug für alle gibt, dann gibt es Nahrungsmittel nur noch im Tausch gegen Karten", sagt Kaehs. Auch der Händler kriegt dann nur auf diesem Weg Nachschub. Wie die Karten aussehen, will Rothstein nicht verraten: "Ich habe selbst noch nie ein Original gesehen." Je weniger Leute wissen, wie die Karten aussehen, umso geringer das Risiko von Fälschungen.

Auch über die Lage der vorhandenen Schutzräume redet Kaehs nicht gern. Die Räume sollen ja nicht verwüstet werden. Tatsächlich wird der sogenannte "öffentliche Schutzbau" seit dem Ende des Kalten Krieges sowieso nicht mehr weiterverfolgt. Und für akute Katastrophen waren die Bauten wegen ihrer langen Vorlaufzeit ohnehin nur bedingt geeignet: Bei einem großen Feuer, einem Chemieunfall oder anderen Ereignissen hat man keine Zeit. Die Bauten, die es noch gibt, werden nur noch unter Verkehrssicherungsaspekten in Stand gehalten, also soweit in Schuss gehalten, dass sich in den Räumen niemand verletzt. "Zivilschutz ist seit der Wende eigentlich nur noch Resteverwaltung", sagt Christian Kaehs.

Permanent planen für den schlimmsten und hoffentlich unwahrscheinlichen Notfall, neue Szenarien entwickeln, was sonst noch Furchtbares passieren könnte - es ist ein merkwürdiger Beruf, den die Katastrophenschützer ausüben, und das wissen sie auch. "Ich bin froh, dass schon so lange nichts mehr passiert ist", sagt Christian Kaehs. "Aber darin liegt auch das Schwierige: Man darf nicht vergessen, dass doch einmal etwas passieren könnte."

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