Kreative Orte in München:Unter der Brücke

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Ungenutzte Orte mit Kultur bespielen - das setzen Simon Martini, Noah Losert und Fabian Gruber (von links) mit "Vorhang auf Giesing" um. (Foto: Stephan Rumpf)

Ein weißer Vorhang aus Gerüstschutznetz - nicht viel mehr brauchen drei Studenten, um eine alte Bahnunterführung in Giesing in einen Kulturort zu verwandeln. In den kommenden zehn Tagen bekommen dort junge Kreative eine Bühne

Die Unterführung einer Bahnbrücke am Giesinger Berg, oben brettern regelmäßig Züge über die Gleise. Eine Frage drängt sich auf, wenn man zwischen den Pfeilern aus grauem Beton Halt macht: Kultur, genau hier? "Der Ort hat seine Grenzen", das muss Simon Martini, 24, schon zugeben. Dementsprechend herausfordernd sei es, ihm eine "gewisse Aufenthaltsqualität" zu verleihen. Gemeinsam mit Fabian Gruber, 24, und Noah Losert, 23, hat er diese Herausforderung angenommen. In den kommenden zehn Tagen wollen sie das Stück Asphalt unter der Brücke kulturell nutzbar machen.

Ganz minimalistisch kommt das Konzept der drei Münchner daher: Weiße Vorhänge, die an beiden Seiten der Brücke angebracht sind, sollen den Ort "optisch abschirmen", erklärt Martini. Dazwischen bildet sich ein Raum, der den Trubel der Stadt an einem wenig ästhetischen Fleck Giesings draußen hält. Gleichermaßen als Ort der Begegnung und Spielfläche für Film, Musik und Foto soll die Unterführung dann dienen. Am Freitagabend hieß es zum ersten Mal "Vorhang auf Giesing" am Kolumbusplatz.

Bereits im vergangenen Jahr wuchs die Idee, ungenutzte Münchner Orte mit Kultur zu bespielen, in den Köpfen der drei Freunde, die sich schon seit der Schulzeit kennen. Damals befanden sie sich noch in unterschiedlichen Städten: Gruber in München, Martini in Brüssel, Losert in Leipzig. Das Projekt sei zu Beginn eine gute Möglichkeit gewesen, "sich zumindest online regelmäßig zu sehen", erinnert sich Losert. Dementsprechend musste auch die Suche nach geeigneten Orten digital erfolgen. Über Google Maps durchforsteten sie die Straßen Münchens und stießen dort auf die Giesinger Unterführung. Als ehemalige Haltestelle der Buslinie 58 kommt dem Platz unter der Bahnbrücke heute keine Aufgabe mehr zu. Umso mehr Potenzial hat er in den Augen der drei Münchner: "Das ist ein Ort, wo etwas passieren kann", sagt Losert. Und so ist das vage Gedankenspiel in den vergangenen Monaten zu einem Vollzeitjob geworden. Seit April arbeiten Gruber, Martini und Losert an fünf Tagen die Woche an Vorhang auf Giesing.

"Wir sind gespannt, wie sich das noch entwickelt", sagt Noah Losert. Denn Erwartungen an die kommende Zeit, die hätten sie nicht. Vielmehr sei die Installation als Experiment zu verstehen. So ist auch die Nutzung des Vorhangs nicht in Stein gemeißelt. Mit zehn Zugseilen an jeder Brückenseite kann der Stoff auf verschiedene Weisen interpretiert werden: Wird nur eine Seite des Vorhangs heruntergelassen, entstehe eine bühnenartige Atmosphäre, hängt er auf beiden Seiten bis zum Boden, ist die Unterführung vollkommen von der Umgebung abgeschirmt. "Der Vorhang soll sich so an das Programm anpassen", erklärt Simon Martini.

Ein Plan, der schon mit Zuspruch von außen gekrönt wurde: Der Verein Green City hat "Vorhang auf Giesing" mit einem Sonderpreis für Ideen eines lebenswerten Münchens ausgezeichnet. "Das ist aber eher symbolischen zu verstehen", sagt Fabian Gruber. Ein Preisgeld, das ihnen bei der Umsetzung geholfen hätte, gab es nämlich nicht. Dennoch sei es natürlich eine Motivation gewesen, da sind sich Losert, Martini und Gruber einig. "Also", so Losert, "haben wir angefangen, das Projekt beim Bezirksausschuss zu präsentieren." Vom BA Untergiesing-Harlaching gab es dann auch finanzielle Unterstützung für die jungen Initiatoren.

Bei der architektonischen und kreativen Umsetzung waren sie sich hingegen selbst überlassen. Keine große Herausforderung, wenn man deren Hintergrund bedenkt: Losert und Martini studieren Architektur im Master, Gruber lernt Fotodesign an der Hochschule München. So konnten sie die Schwierigkeit eines wind- und wetterfestes Gebildes, das auch den ästhetischen Anforderungen entspricht, schnell aus dem Weg räumen: Der Vorhang ist aus Gerüstschutznetz zusammengeflickt und deshalb "winddurchlässig, reißfest und schwer entflammbar", weiß Martini. Gleichzeitig ergeben sich durch den transparenten Stoff unterschiedliche Lichtspiele auf dem Vorhang.

Am Freitagnachmittag ist die Unterführung schon kaum mehr wiederzuerkennen: Ein roter Perserteppich ist auf dem Asphalt ausgebreitet, Getränkekisten dienen als Sitzmöglichkeit, und eine Stehlampe macht den Ort zwischen den zwei Vorhängen schon fast gemütlich. Nun fehlen nur noch die Künstler, die für die kommenden zehn Tage angekündigt sind. "Wir sehen uns da nicht als perfekte Kuratoren, wir wollen jungen Menschen einfach einen Raum geben", sagt Losert über die kulturelle Auswahl für "Vorhang auf Giesing". Und so sind bis zum 22. August vor allem Projekte junger Münchner zu sehen. An den Abenden des Eröffnungswochenendes, Samstag/Sonntag, 14./15. August, werden Kurzfilme von Filmschaffenden, Performances und Audio-Installationen gezeigt.

Mit einer Vernissage der Fotoausstellung "Wer ist Stadt?" am Mittwoch, 18. August, knüpfen die Initiatoren daran an, Orte in der Stadt nutzbar zu machen. Und von Donnerstag, 19. August, bis Samstag, 21. August, spielen Bands zwischen den Vorhängen am Giesinger Berg.

Alle weiteren Programmpunkte, alle kostenfrei, sind im Internet unter der Adresse www.vorhangaufgiesing.de zu finden.

© SZ vom 14.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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