The Notwist in München:Biepen und Klickern, neu sortiert

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The Notwist im ausverkauften Circus Krone. (Foto: oH)

Nach sechs Jahren in der Versenkung ist plötzlich eine neue Platte da. Und eine Tour: Beim ausverkauften Konzert der Band in München stellt sich sofort das vertraute "Notwist-Gefühl" ein. Und trotzdem wirkt alles neu und unerhört.

Von Jürgen Moises

Sechs Jahre lang kein neues reguläres Album, und irgendwann das Gefühl, dass sich "The Notwist" in zahlreiche Nebenprojekte verflüchtigt haben. Dann war sie plötzlich da, die neue Platte, und eine neue Tour. Und nun stehen sie im ausverkauften Circus Krone in München, und aus noch nicht klar entzifferbaren, elektronischen Tönen schält sich der erste Song heraus. Die Gitarre setzt ein, die sanfte, melancholische Stimme von Markus Acher. Ein vertrauter wohliger Schauer läuft einem über den Rücken. Und es ist, als wären The Notwist niemals weg gewesen.

"Oh, gravity won't get me", singt Acher in "Gravity" beim letzten regulären Song des Notwist-Konzerts. Die Schwerkraft, sie wird mich nicht kriegen. Und dann kommt sie doch, in Form der einsetzenden Gitarren, die bei Notwist live immer ein bisschen schwerer klingen als auf Platte. Da schlagen noch etwas die frühen Punk- und Hardcore-Wurzeln aus der Anfangszeit durch. Auch wenn sie in 25 Jahren Bandgeschichte die lauten Gitarren immer mehr zurückgeschraubt haben und über den Indierock mithilfe des Elektroniktüftlers Martin Gretschmann alias Console schließlich bei Pop und Indietronica gelandet sind.

Micha Acher am Bass, Markus Acher an Gitarre und Gesang und Martin Gretschmann an den Elektronikreglern: Sie bilden seit Ende der 1990er den Kern der Band, ergänzt durch immer wieder neue oder auch wiederkehrende, treue Weggefährten. Aktuell sind das Andi Haberl an Schlagzeug und Percussion, Max Punktezahl an Gitarre und Keyboard und Karl Ivar Refseth am Vibrafon. Mit ihnen zusammen haben die drei das aktuelle, siebte Notwist-Album "Close To The Glass" eingespielt, das sie im Circus Krone auch in derselben Besetzung live präsentieren. Fast zwei Jahre lang hat das Sextett daran herumgebastelt, in einem Tonstudio in Weilheim, zu dem die schon lange in München lebenden Acher-Brüder die Verbindungen ebenfalls nie ganz gekappt haben.

Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum The Notwist ihre Bodenhaftung nie verloren haben, sie aber trotzdem auch nie hängen geblieben sind, sondern sich musikalisch immer weiterbewegt haben. Auch als mit dem Album "Neon Golden" 2002 der "Weilheim-Sound" plötzlich um die ganze Welt ging und The Notwist zur maßgeblichen deutschen Popband wurden, sind sie weder ausgerastet, noch haben sie ein vermeintliches Erfolgsschema wiederholt, sondern: Sie sind einfach ausgestiegen, irgendwie, haben sich dem Markt verweigert und sechs Jahre lang keine neue Notwist-Platte herausgebracht.

Markus und Micha Acher haben sich stattdessen in unzählige andere Musikprojekte wie Tied & Tickle Trio, Lali Puna oder 13 & God gestürzt. Bis dann plötzlich, als man fast schon nicht mehr damit gerechnet hat, mit "The Devil, You + Me" 2008 ein neues Album erschien. Bei "Close To The Glass" war das jetzt nicht anders.

Krautrock, Dub und Jazz

Doch obwohl sich beim Konzert sofort das vertraute "Notwist-Gefühl" einstellt, wirkt trotzdem alles immer noch neu. Das Notwist-Wunder. Man erkennt die bekannten Elemente: die Stimme, das pulsierende Bass-Spiel, die Elektronikspielereien, das Bliepen, Klickern, Blubbern, die Indierock-Riffs, die sich immer wieder dazwischen schieben, Anflüge von Krautrock, Dub und Jazz. Aber es wirkt doch wieder mal alles neu sortiert und arrangiert, auf andere Art gewichtet. Das gilt für die neuen Stücke von "Close To The Glass", die ein bisschen wie eine Art Notwist-Kompendium klingen: mit Elementen aus den verschiedenen Band-Phasen, die aber nie bloße Selbstzitate sind.

Das gilt aber genauso für die alten Songs, von denen jeder auf seine Weise neu und unerhört klingt. Bei "The Room" etwa hauen einem The Notwist ein experimentelles, freejazzartiges Intro um die Ohren, Songs wie "Neon Golden" oder "Pilot" wiederum arten mittendrin in eine Art Elektronik-Jamsession aus. Und bei einem Lied wie "Not My Fault" von 1995 ist die schöne Überraschung einfach die, den fast 20 Jahre alten, tollen Indieschrammel-Song einfach mal wieder live zu hören. Ebenfalls etwas überraschend ist die für Notwist-Verhältnisse eher ungewohnte starke Lichtregie: ein weißer Lichterreigen, der sich über die gesamte Bühne zieht und mit den elektronischen Tönen um wie Wette pulst. Ergänzt durch Laserstrahlen in den Farben Orange und Blau, den Farben des "Close to the Glass"-Covers.

Die sorgen für teilweise sehr schöne atmosphärische Momente, sind aber als Stimmungsmacher eigentlich gar nicht nötig sind. Der Jubel wäre auch sonst sicherlich genauso euphorisch. Gleich dreimal werden The Notwist am Ende für Zugaben auf die Bühne zurückgeholt. Ohne Zweifel wegen ihres mitreißenden Konzerts. Aber vielleicht auch ein klein bisschen aus der Angst heraus, dass wenn sich man die Band nicht gleich wieder zurück jubelt, man sie - zumindest mit neuem Album - erst in etwa sechs Jahren wieder auf der Bühne sieht.

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