Konkurrenz für Supermärkte:Lieferung frei Haus

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Obst im Web bestellen - nicht jeder findet das hilfreich. (Foto: Imago)

Die Supermarktketten haben den Online-Handel entdeckt. Doch sie könnten Konkurrenz durch einen bekannten Bring-Service bekommen: Branchenkenner gehen davon aus, dass Amazon im Großraum München demnächst ein Frischwarenangebot testet

Von Stefan Mayr

Rewe, Edeka, Tengelmann, Aldi, Lidl. Diese fünf Supermarkt-Ketten teilen sich im Großen und Ganzen den Umsatz in Deutschland und München untereinander auf. Aber es ist gut möglich, dass sich noch in diesem Jahr ein neuer Name an den Tisch drängelt und ein großes Stück vom Kuchen abbrechen will: Amazon. Der Internet-Konzern aus Seattle/USA, dessen Deutschland-Zentrale in Münchens Norden sitzt, könnte bald in diese Phalanx einbrechen und sie gehörig durcheinander wirbeln. Dabei punktet Amazon bei den Kunden mit einem ganz großen Vorteil: All die schweren Flaschen, tiefgefrorenen Sachen und empfindlichen Früchte werden wie immer bei Amazon und seiner Sparte "Fresh" direkt an die Haustür geliefert.

Lebensmittel am Computer bestellen und noch am selben Tag werden sie zugestellt? Dass dies zumindest in München keine allzu unrealistische Zukunftsmusik ist, deutete jüngst die Lebensmittel-Zeitung an: "Amazon nimmt offenbar München als Testfeld für Fresh ins Visier und sucht - wie derzeit in Hamburg - nach Logistikflächen in City-Lagen", schreibt das in der Regel bestens informierte Fachblatt. Die Amazon-Zentrale selbst schweigt sich auf Anfrage über konkrete Zukunftspläne wie immer aus. Aber immerhin sagte Deutschland-Chef Ralf Kleber in einem Interview: "Die Produktauswahl heute umfasst schon viele Güter des täglichen Bedarfs, (. . .) unser Ziel ist es, das Angebot mittelfristig um weitere Produktgruppen zu ergänzen, die Kunden kurzfristig benötigen." Das klingt tatsächlich so, als wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis Amazon den Angriff auf die alteingesessenen Supermarktketten startet.

Seit Oktober gibt es bereits "Amazon Pantry". Diese Sparte hat Gesundheits- und Beauty-Artikel, Baby-Produkte und auch haltbare Lebensmittel wie Nudeln und Reis im Angebot. Um diese Artikel schnell zum Kunden zu bringen, hat Amazon an seinem Lager-Standort in Graben bei Augsburg extra etliche Quadratmeter freigeräumt.

Und wann kommen frisches Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch dazu? Die Lebensmittel-Zeitung berichtet, dass Experten den Start von "Amazon Fresh" bereits für das Jahr 2016 erwarten. Deshalb fürchtet die Konkurrenz aus der stationären Supermarkt-Branche - wohl mit Recht - bereits um ihre Marktanteile und rüstet sich mit viel Aufwand gegen den mächtigen Gegner aus Übersee. Sie alle wissen: Wenn der US-Gigant mit seinem Know-how, mit seinen Datenbanken über die Vorlieben der Kunden, mit seinem Kundenservice und mit seinem Geld in den Markt drängt, dann kann es bald sehr eng werden.

In einigen Städten der USA gehören die giftgrünen "Amazon Fresh"-Lieferwagen schon zum gewohnten Straßenbild. Experten halten es nicht für ausgeschlossen, dass diese bald durch München rollen. Immerhin ist Deutschland für Amazon nach eigenen Angaben der wichtigste Auslandsmarkt - noch vor Großbritannien.

Bislang sind in den Wohnstraßen von München, Nürnberg und Augsburg allerdings nur Laster von Rewe zu sehen. Der Kölner Konzern baut seinen Lieferservice kontinuierlich aus, erst jüngst entstand in Bergkirchen bei Dachau eine neue Lagerhalle. All das ist ziemlich aufwendig und bringt bislang nur Verluste, weil die kritische Masse an Käufern noch fehlt. Dennoch pumpt der Konzern sehr viel Geld in seinen Online-Bestellservice, um rechtzeitig Kunden an sich zu binden.

Wer einmal den Rewe-Lieferservice ausprobiert hat, erhält eine nette E-Mail nach der anderen. Die Betreffzeilen klingen so: "Bestellen Sie doch mal wieder bei uns." Drei Tage später fragt Rewe besorgt: "Wo sind Sie? 5 Euro Gutschein für Ihren nächsten Einkauf." Weitere zwei Wochen später heißt es: "Herzlichen Glückwunsch und zehn Euro zum Geburtstag!" Nur 48 Stunden später wird es endgültig emotional: "Ihr 15 Euro Gutschein - weil wir Sie vermissen."

Wer dann irgendwann dem Charme der Abteilung Attacke erliegt, kann sich bequem zurücklehnen: Die Lieferzeit kann auf zwei Stunden genau festgelegt werden. Der Zusteller trägt die ganzen Taschen auch in den dritten Stock hoch - ohne Aufzug und ohne Meckern. Sogar Pfandflaschen nimmt er wieder mit. Ab 100 Euro Bestellwert ist die Lieferung kostenlos.

Bei Edeka ist der Online-Kauf sogar schon ab 50 Euro versandkostenfrei. Allerdings ist hier das Angebot noch eingeschränkt: Bananen zum Beispiel gibt es nicht, die sind wohl noch zu empfindlich für den schnellen Transport. Kaiser's Tengelmann ist mit der Webseite Bringmeister.de aktiv - bislang allerdings nur in den Großräumen Berlin und München. Hier gibt es einen 13-Euro-Gutschein für Neukunden. Aldi Süd bietet keinerlei Lieferservice an. Das Unternehmen begründet dies auf seiner Internetseite so: " Wir bieten unseren Kunden ausschließlich Waren in hoher Qualität zu einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis an und sehen derzeit keine Möglichkeit, diesen Anspruch in einem Onlineshop umzusetzen."

Lidl dagegen hat auf "Amazon Pantry" schnell reagiert: Auch der Discounter bietet verschiedene "Vorratsboxen" für den Haushalt an. Darin befinden sich aber nur Drogerie-Artikel und keine frischen Lebensmittel. Andererseits bietet Lidl einen Vorteil gegenüber Amazon: Während der US-Konzern seinen Pantry-Service nur für Premiumkunden und gegen Gebühren anbietet, lässt Lidl seine Boxen von DHL kostenfrei zustellen.

Noch sind mit dem Lebensmittel-Lieferservice keine Gewinne zu erzielen, doch Marktexperten erwarten schon bald eine steigende Nachfrage. Früher oder später werden die Umsätze hoch genug sein, damit die Anbieter kostendeckend arbeiten können. Deshalb drängen auch andere Unternehmen in den Markt: Die Deutsche Post DHL hat ihren eigenen Online-Supermarkt Allyouneedfresh.de am Start - deutschlandweit und ab 40 Euro Bestellwert kostenlos. Zudem gibt es auch unbekanntere Anbieter wie Lebensmittel.de oder Emmas Enkel.

Sie alle warten auf den Markteintritt von Amazon. Der Konzern hat Ende 2015 in Olching bei München ein Verteilzentrum in Betrieb genommen, ein zweiter Standort im Osten Münchens soll noch heuer folgen. Auf SZ-Anfrage macht Amazon allerdings keine konkreten Angaben. Doch der Vize-Chef für den Vertrieb in Europa, Xavier Garambois, machte eine andere Ankündigung, die viel Raum für Spekulationen lässt: Amazon wolle 2016 mehrere tausend neue Mitarbeiter in Europa einstellen, 1500 davon in Deutschland. Bislang seien hierzulande etwa 13 000 Beschäftigte unbefristet angestellt. Die Nachfrage sei "größer als je zuvor", sagte Garambois. "Wir nehmen in allen Unternehmensbereichen mehr Potenzial für Innovation und Investition in die Zukunft wahr." In welchen Geschäftsbereichen die Jobs geschaffen werden, ließ er offen.

© SZ vom 25.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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