Konferenz:Umkämpfter Raum

Lesezeit: 3 min

Das Symposium "Public Art" wird politisch vereinnahmt

Von Evelyn Vogel, München

Auch wenn der Stadtraum öffentlich genannt wird, die Räume der Stadt gehören nicht allen. Und nicht alle haben Einfluss darauf, wie sie sich verändern. Auch ist Kunst im öffentlichen Raum nicht per se demokratischer und politischer als in Museen und Institutionen. Und wir sind noch weit davon entfernt, dass Kunst - egal wo sie den Menschen begegnet - die Gesellschaft adäquat abbildet. Das waren einige der Ergebnisse, die im Laufe des ersten Konferenztages das Symposium "Public Art - City. Politics. Memory" deutlich wurden. Einem Symposium, zu dem das Kulturreferat in Zusammenarbeit mit dem NS-Dokumentationszentrum ins Münchner Literaturhaus eingeladen hatte, um über Aspekte der Kunst im öffentlichen Raum nachzudenken.

Am zweiten Tag mussten sich die Veranstalter zudem selbst fragen lassen, ob das mit lokalen, nationalen und internationalen Fachleuten durchaus hochrangig besetzte zweitägige Symposium die Diversität der Gesellschaft hinreichend abbildet. Mehr noch, sie mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, der Münchner Kulturbetrieb habe ein Problem mit strukturellem Rassismus.

Vorausgegangen war ein offener Brief an das Kulturreferat, in dem kritisiert wird, "dass keines der angekündigten Panels die Diversität Münchens als eine postmigrantische, postkoloniale und queere Gesellschaft abbildet". Man habe den Verdacht, "dass die Initiator*innen des Symposiums den eigenen blinden Fleck - nämlich institutionalisierten Rassismus - in Form eines kosmopolitisch besetzten Symposiums als Best-Practice-Modell vermarkten und damit in einen Wettbewerb der Kulturhauptstädte einzutreten gedenken." Das Schreiben ist mit "Dear All" gekennzeichnet. Dahinter, so heißt es am Anfang des Textes, stehe "ein offenes Kollektiv, das gegen institutionellen Rassismus im Kulturbetrieb eintritt".

Der Brief war einige Tage vor dem Symposium nicht nur ans Kulturreferat gegangen, sondern wurde auch über soziale Medien verbreitet. Ronny Sommer vom Berliner Peng-Kollektiv, selbst als Redner eingeladen, bot daraufhin allen Kunstschaffenden seine Redezeit am zweiten Konferenztag an, um mit ihm über den Vorwurf zu diskutieren. Das Kulturreferat tat das einzig richtige und ließ die Diskussion in der Form zu. So hörte man von fünf Menschen mit migrantischen Erfahrungen, die sich gesellschaftlich, künstlerisch und politisch dafür engagieren, dass München diverser wird, wie ihre Teilnahme am kulturellen Leben in dieser Stadt aussieht, wie unterschiedlich erfolgreich sie sind, auch woran sie scheitert und was sie vermissen. Beispielsweise wie sie sich sogar bei einer Ausstellung "Migration bewegt die Stadt" des Stadtmuseums von einer Beteiligung ausgeschlossen fühlen.

Der Diskurs nahm zeitweilig eine enorme Schärfe an. Es gefiel nicht allen, dass die Veranstaltung so politisch vereinnahmt wurde. Zuhörer fühlten sich ähnlich wie die Kunstgenießer im Museum, die sich darin gern mit gesellschaftlichen Forderungen bespaßen lassen, aber nicht selten in Abwehrhaltung gehen, wenn sich diese Themen auch vor den Türen des Museums als konkrete Forderung an die Gesellschaft im öffentlichen Raum fortsetzen. Umstritten blieb im Publikum vor allem die Anonymität, mit der die Verfasser agiert hatten.

Zuvor war es bei den Beiträgen recht konkret um den Stadtraum an Hand auch internationaler Beispiele gegangen. Benedikt Boucsein von der TU München mahnte im Hinblick auf Autoverkehr und Stadtplanung die Rückeroberung der Straße und des Stadtraums durch die Menschen an. Ali Madanipour von der Newcastle University forderte, öffentlichen Raum vor private (Investoren-)Interessen zu stellen. Gerrit Gohlke will mit der "Gesellschaft der Neuen Auftraggeber" in Berlin die Nutzer dazu bringen, selbst aktiv zu werden. Barbara Holub von Transparadiso in Wien gab zu bedenken, dass Kunst zwar "poetische Momente jenseits des Spektakels" schaffen und Handlungsspielräume eröffnen könne. "Sie kann aber nicht die Aufgaben der Politik übernehmen."

Wenn es um die Akzeptanz von Kunstprojekten im öffentlichen Raum gehe, spielten auch kulturelle Unterschiede eine Rolle, betonte Momoyo Kaijima vom Atelier Bow-Wow aus Tokio, die in München die "Bridge Sprout" realisieren werden. Und Paul Farber und Ken Lum von Monument Lab in Philadelphia forderten, mit ungewöhnliche Methoden ans Werk zu gehen, um ungewöhnliche Ergebnisse zu erzielen.

600 000 bis 800 000 Euro stehen dem Kulturreferat München pro Jahr für Kunst im öffentlichen Raum zur Verfügung. Das gebe Planungssicherheit, sei aber für eine so große Stadt wie München einfach viel zu wenig, wurde kritisiert. Im vergangenen Jahr konnten damit beispielsweise die temporäre Reihe "Frequenzen" und partizipative Projekte wie "Aerocene" von Tomás Saraceno finanziert werden, auch das Langzeiterinnerungsprojekt "Memory Loops" von Michaela Melián und das mittlerweile im Fünfjahresrhythmus stattfindende PAM-Programm werden so ermöglicht.

Am zweiten Tag ging es vor allem um Erinnerungskultur und wie mit Mahnmalen im 21. Jahrhundert umgegangen wird. Piotr Rypson aus Warschau gab einen tiefen und frustrierenden Einblick in die Geschichtsumdeutung und -neuschreibung, die in Polen die rechte Regierung derzeit systematisch betreibt. Das sei wie ein "Blitzkrieg". Die Strategien kämen ihm bekannt vor, erklärte Andreas Huyssen von der Columbia University, New York. Er plädierte für mehr temporäre Erinnerungsprojekte und stellte einige sehr schöne im öffentlichen Raum vor, die Künstler des "Global South", also aus sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern, gestaltet haben. Die Schwierigkeiten im Umgang mit Mahnmalen machte der schwedische Künstler Jonas Dahlberg anhand des nun schon sechs Jahre währenden Streits um sein geplantes Mahnmal für die Attentatsopfer von Oslo und Utøya deutlich. Auch der Videokünstler Marcel Odenbach wies auf die unterschiedliche Erwartungshaltungen bei der Erinnerungskultur hin und welche Rolle Architektur dabei spielen kann. Er zeigte am Beispiel der Arbeit über das Mahnmal im KZ Buchenwald, wie Erinnern auch funktionieren kann.

"Public Art - City. Politics. Memory" gab spannende und vielfältige Anregungen. Das Symposium zeigte aber auch, dass nicht nur öffentlicher Raum umkämpft ist, sondern auch das Nachdenken darüber.

© SZ vom 04.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: