Ein Foto von zwei eng umschlungenen Mädchen, Wange an Wange, große Kulleraugen, ein zuckersüßes Lächeln. Darunter kann man lesen: "Schaaatz! ;D ich lieeebe dich so sehr <33". Das Bild findet man auf der Facebook-Pinnwand von Alexa (Name geändert), einem 13-jährigen Mädchen aus München. Unter dem Bild reihen sich im Sekundentakt weitere Kommentare aneinander: "hüüüüübsche, wunderschööön, ich lieebe dich!! >3" und "dankee :DD ich diiich auch du schönheit! <3 <3".
Fotos und Sätze wie diese beherrschen heute die Kommunikation unter zwölf bis 16-jährigen Mädchen - zumindest im Internet. Viele Mädchen haben heute eine ABFFL, wie die gängige Abkürzung lautet für die "allerbeste Freundin fürs Leben". Sie ist die Person, ohne die das Leben keinen Sinn mehr zu machen scheint. Und diese Freundschaft wird in aller Öffentlichkeit im Netz zelebriert. Schrieb man sich früher Zettelchen oder SMS, können jetzt alle in der Klasse zuschauen. Es ist ein regelrechter Wettbewerb unter den Mädchen entstanden: Welche Freundschaft ist besser? Wer hat sich mehr lieb? Und wer kann es am besten zeigen?
"Um die allerbeste Freundin ist ein richtiger Kult entstanden", sagt Martin Voigt. Dem 27-jährigen Sprachforscher fallen schon seit 2007 die neuen Kommunikationsformen unter Teenagern auf, angefangen bei seinen beiden jüngeren Schwestern und den Nachhilfeschülerinnen, denen er Unterricht gab. Seit zwei Jahren promoviert er nun über dieses Thema an der LMU München.
Wie frühreife Lolitas - aber lieber süß als sexy
"Pubertierende Mädchen stilisieren ihre Freundschaft auf Plattformen wie Facebook zur Liebesbeziehung", hat er herausgefunden. Warum? "Weil die Mädchen die öffentliche Inszenierung lieben." Das sich in Szene setzen als frühreife Lolita, das Zurschaustellen der engen Freundschaft. Zudem kommt der Drang, sich möglichst niedlich und süß darzustellen.
"Sieht man sich die Fotos an, wirken alle ähnlich: große Augen, riesige Frisuren mit geglätteten Haaren", sagt Voigt. Mit anderen Worten: das Kindchenschema. Doch auch wenn das Shirt gerne mal ein wenig weiter nach unten gezogen werde, damit man mehr vom Ausschnitt sieht, sei es den Schulmädchen - wie sich die Teenies selbst nennen - wichtiger, niedlich zu wirken. Lieber süß als sexy.
Jungs sind in diesem Alter ganz anders. "Die wollen cool sein und stehen nicht auf so viel Kommunikation, vor allem nicht in der Öffentlichkeit", sagt Voigt. Die Mädchen hingegen schaukeln sich gegenseitig immer mehr hoch. Schreibt eine "Du bist sooooo toll" an die Pinnwand ihrer Freundin, toppt es eine andere mit "Ich liebe dich sooooo sehaaa."
Die sogenannten "Klassenqueens" geben hierbei den Ton an, die anderen ziehen mit. Zudem fließt bei solchen Gästebucheinträgen die liebliche Sprache der Mädchen mit ein. Deshalb schreiben sie "sehaaa" statt "sehr", "mehaaaa" statt "mehr" oder "danqqe" statt "danke". Ebenfalls ein Niedlichkeitstrick.
Auch Saskia (Name geändert), eine 15-jährige Gymnasiastin in München, hat eine Facebook-Seite mit Einträgen wie "Du bist mir total wichtiiiig" und "Ich will dich nie nie verlieren, du Süüüüßi!!". "Postet man ein neues Foto von sich, ist es wichtig, dass man möglichst schnell möglichst viele Kommentare und Likes sammelt", sagt sie. Daran wird gemessen, wie beliebt ein Mädchen ist.
Aber auch Streitigkeiten und die darauf folgende Versöhnung werden auf Facebook öffentlich ausgetragen. "Das ist besser als jede Fernsehserie", sagt Saskia lachend, die das Ganze von der spielerischen Seite sieht.
Voigt hat die gleichen Beobachtungen gemacht: "Früher hingen in den Kinderzimmern Poster von Rihanna und Katy Perry, heute machen sich die Mädchen ihre eigene Daily Soap, in der sie aktiv mitwirken." Mehr als 1000 Gästebucheinträge, mehr als 2000 Screenshots und 650 Videos hat Voigt unter anderem für seine Arbeit gesammelt. Als teilnehmender Beobachter ist er im Auftrag der Wissenschaft im Netz unterwegs, sucht aber laufend neues Material für seine Forschungen (wer hierfür Beiträge oder Bilder zur Verfügung stellen will, kann sich an abff.projekt@gmail.com wenden).
In einer Beziehung mit Hanni und Nanni
Eltern und Lehrer bestätigen den von Voigt beobachteten Kulturwandel. Lehrer erzählen von Schülerinnen, die einander auf dem Schoß sitzen, Händchen halten, sich Küsschen geben und ständig mit dem Smartphone hantieren. Und auch so manchen Eltern ist aufgefallen, dass ihre Tochter auf Facebook plötzlich als Status "in einer Beziehung" angibt. Diese Beziehung entpuppt sich dann als Hanni oder Nanni.
"Die Schulmädchen spielen absichtlich mit homoerotischen Klischees", sagt Voigt. Zu werten ist das aber nicht als lesbische Neigung, sondern in den meisten Fällen als Freundschaftsgeste, die einfach dazugehört. Außerdem seien solche Intimitäten durchaus auch erotisches Kalkül. So machten sich die Freundinnen für Jungs interessanter, glaubt Voigt.
Die symbiotische Schulmädchenfreundschaft endet in der Regel, wenn sich eines der Mädchen in einen Jungen verliebt. Kommt das andere Geschlecht ins Spiel, hat die allerbeste Freundin ausgedient.