Kommentar:Vorbildlich hungern

Vielleicht sollte die Stadt nur ganz kleine, dünne Erzieherinnen einstellen. Die würden dann wenigstens satt werden vom sogenannten pädagogischen Happen.

Von Renate Winkler-Schlang

Vielleicht sollte die Stadt ja nur ganz kleine, dünne Personen einstellen als Erzieherinnen. Diese würden dann satt von dem "Pädagogischen Happen", den sie mitessen dürfen am Kindertisch. Mehr, das hat nun der Bezirksausschuss (BA) Trudering-Riem von Stadtschulrat Rainer Schweppe erfahren, darf die Stadt als Arbeitgeber ihnen nicht gewähren, ohne tarifrechtliche Probleme oder einen hohen lohnsteuerrechtlichen Abrechnungsaufwand zu riskieren. Der BA sähe gerne das stärkende Mittagsmahl im Lohn mit inbegriffen - sozusagen als Köder, damit die Fachkräfte bei der Stange, oder besser gesagt: in der teuren Landeshauptstadt bleiben. Der pädagogische Happen also sei erlaubt, denn so eine Erzieherin hat ja Vorbildfunktion. Kinder, die ihre Erzieherin lieben, machen gerne nach, was sie vormacht. In diesem Fall also wohl dieses: sich nur eine Spatzenportion nehmen aus dem großen Topf, dann so langsam wie möglich drauf rumkauen, dabei etwas lustlos auf die kleinen Tellerchen rechts und links schauen. Jeden Nachschlag ablehnen, auch wenn noch ausreichend da wäre und das Übrige ziemlich sicher sogar weggeworfen wird, wie heutzutage so viele Lebensmittel.

Nachhaltigkeit? - egal. Magersuchtprophylaxe? - ebenso. Das Kind lernt, sich höflich zu verstellen, es kapiert, dass Erwachsene ihre Bedürfnisse verleugnen, weil Vorschriften über allem stehen. Und dann, wenn der schöne gemeinsame Mittagstisch abgeräumt ist und die Tellerchen gespült und abgetrocknet sind, dann beißt die Erzieherin, deren Appetit durch den Happen angeregt wurde, deren Verdauungssäfte in Strömen fließen, semiheimlich und halbverhungert ins mitgebrachte Käsebrot. Was lernt das Kind dann dabei?

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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