Kommentar:Scheinheilige Argumente

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Wo soll die Stadt München noch Platz für Flüchtlinge finden? Bei dieser Frage gerät im Rathaus die eigentliche Not aus dem Blick. Größere Unterkünfte können nicht die Lösung sein

Von Kassian Stroh

Die Not ist groß, sagen sie im Rathaus. Nur haben sie leider vor allem die eigene Situation im Auge. Die ist schwierig, keine Frage. Wo sollen sie in München Platz finden für Tausende Flüchtlinge, wo doch ohnehin schon alles voll ist? Dabei aber gerät die eigentliche Not aus dem Blick: die der nach München Geflüchteten.

Je mehr Menschen in einer Unterkunft zusammengepfercht werden, desto schlechter, desto höher das Konfliktpotenzial, desto unwürdiger die Unterbringung. 200 Bewohner in einer Asylunterkunft - das ist nicht gut. 300 Bewohner - das ist noch schlechter. Und 500 Bewohner noch viel schlimmer. Denn es geht um Menschen, die in solchen Unterkünften nicht nur einige Wochen überbrücken müssen, sondern Monate und Jahre leben werden. Es geht um Menschen, die Traumatisches erlebt haben, in ihren Heimatländern und während ihrer langen Flucht. Es geht um Familien mit Kindern, die an Orten wie diesen ein neues Leben aufbauen sollen. Wer glaubt, dass das gelingen kann in einem Containerkonglomerat mit 500 Menschen, in dem eine soziale Betreuung, wenn überhaupt, dann nur rudimentär vom Freistaat organisiert wird, der belügt sich selbst. Es ist also der falsche Weg, wenn die Verantwortlichen im Rathaus nun darüber nachdenken, die Obergrenzen für Münchens Asylunterkünfte derart zu erhöhen.

Und ein Teil ihrer Argumente ist auch scheinheilig. Den Bau von Flüchtlingswohnheimen gegen neue Schulen und Kinderkrippen auszuspielen, ist allenfalls in der Theorie richtig. Tatsächlich gibt es auch in München Flächen, die seit Jahren und Jahrzehnten für eben solche Neubauten freigehalten werden, ohne dass sich etwas bewegt. Mehr Kreativität, mehr Flexibilität wäre da bei den Planern im Rathaus gefragt. Nicht ihre Zwänge müssen im Mittelpunkt stehen, sondern die Nöte der Flüchtlinge.

© SZ vom 02.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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