Kommentar:Nieder mit dem Ostbahnhof

Lesezeit: 1 min

Die Forderung, die ganze Station tiefer zu legen, klingt unrealistisch, ist aber auch eine aufsehenerregende Vision

Von Renate Winkler-Schlang

Die Menschen in Berg am Laim haben es satt, als der arme Hinterhof Haidhausens zu gelten. Oftmals werden Wahrzeichen wie die Kultfabrik, der markante Turm des Baureferats oder die Ten Towers ohnehin dem hippen Haidhausen zugerechnet. Ganz so, als hätte Berg am Laim nicht mehr zu bieten als die Erinnerung an den Lehm, mit dem einst die Städter ihre Frauenkirche erbauten. Oder die wichtigen, aber nicht gerade sexy wirkenden Sozialwohnungen für die Alleinerziehenden. Berg am Laim ist ein aufstrebender und doch bodenständiger, ein bunter, solidarischer - aber eben vor allem ein unterschätzter, verkannter Stadtteil.

Den Vorsitzenden des Bezirksausschusses, Robert Kulzer (SPD), hat es offenbar geradezu persönlich getroffen, dass Kritiker den Konzertsaal-Standort im neuen Werksviertel "hinterm Ostbahnhof" als zu weit draußen brandmarkten. "Nieder mit den Alpen - freie Sicht auf Südtirol", lautet ein alter Sponti-Spruch. Analog wünscht sich Kulzer offenbar "Nieder mit dem Ostbahnhof, freie Sicht auf Berg am Laim." Also weg mit dem tristen, trennenden Stationsgebäude, alles einfach tieferlegen.

Klingt blauäugig, lachhaft, absurd, undenkbar. Stuttgart 21, die träge Bahn, das viele Geld, die leeren Kassen, technische Hindernisse und komplexe Entscheidungswege kommen einem in den Kopf. Und dann ist der Antrag nicht einmal ordentlich vorbereitet: Davon, dass das Empfangsgebäude des Ostbahnhofs gar nicht der Bahn selbst gehört, hatte Kulzer offenkundig keine Ahnung. Ja, träumt der denn?

Nein, eigentlich nicht. Er denkt nur in die Zukunft und über den Tellerrand von Berg am Laim hinaus. Die besten Ideen für die Stadtentwicklung galten einst als unrealistisch, man erinnere sich an die Verlagerung des Riemer Flughafens ausgerechnet in ein Moos, den Umzug der Messe ausgerechnet an den Stadtrand. In den Köpfen immerhin ist Kulzers aufsehenerregende Vision jetzt schon mal drin.

© SZ vom 29.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: