Kommentar:München wird nachlässig

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Fahrlässig ermittelte Inzidenzzahlen sind gefährlich - gerade jetzt

Von Thomas Anlauf

Es ist noch längst nicht vorbei mit dem Virus, auch wenn es in den vergangenen Monaten fast so wirkte. Die Biergärten und Restaurants sind längst wieder geöffnet, auch Kinos und Theater, wenngleich mit den üblichen Vorsichtsmaßnahmen und Vorschriften. Wir haben uns allmählich arrangiert mit Corona, scheint es. Doch die über Monate niedrigen Inzidenzzahlen für München haben auch eine trügerische Nachlässigkeit in die Stadt gebracht. Die Menschen umarmen sich wieder, wo im Frühjahr noch höchstens ein Ellbogengruß in Ordnung war. Während die Wiesn verboten ist, feiern die Menschen eben am Viktualienmarkt oder in den Kneipen. Doch jetzt stellt sich heraus, dass in München die Kurve der Infizierten steil nach oben geht, obwohl die offiziellen Zahlen in der vergangenen Woche noch halbwegs moderat aussahen. Was ist da passiert?

Unter anderem Personalengpässe seien der Grund, dass eine Anpassung der stark steigenden Corona-Fälle nicht rechtzeitig erfasst worden sind. Aber für viele Menschen ist genau der Inzidenzwert seit vielen Monaten ein wichtiger Indikator, wie vorsichtig man sich verhalten muss, wie riskant es sein kann, durch die volle Fußgängerzone zu laufen oder einen Abend im Lokal zu verbringen. Ist das alles nichts mehr wert, wie Bundes- und Staatsregierung seit einigen Wochen suggerieren? Was bringt es im Alltag, zu wissen, wie voll ein Krankenhaus ist, wenn man nicht annähernd weiß, wie gefährlich es selbst für einen geimpften Menschen sein kann, sich eine Stunde lang in die S-Bahn zu setzen? Es macht für jeden Einzelnen durchaus einen Unterschied, ob der Inzidenzwert in München bei 60 oder 120 liegt, auch wenn viele Krankheitsverläufe nicht mehr ganz so schlimm sind wie vor einem Jahr.

Läge die Impfquote der Stadt so hoch wie in anderen Kommunen, dann wäre das Problem nicht so relevant. Aber München hinkt im Vergleich zu anderen Städten hinterher. Und dann kommt am Montag auch noch die Meldung, dass München mobile Impfungen an Schulen startet und auch Luftfilter in Klassen einbaut. Das klingt gut, ist aber spät. Denn die Pandemie nimmt wieder an Fahrt auf.

© SZ vom 21.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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