Politik in Pandemiezeiten:Debatten müssen möglich bleiben

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Das Rathaus auf dem Münchner Marienplatz: Der Stadtrat kann sich dort coronabedingt nicht treffen. (Foto: dpa)

Angesichts der steigenden Inzidenzwerte sollten Treffen vermieden werden - doch der Stadtrat muss Wege finden, um seinen Ausschussitzungen sicher abzuhalten.

Kommentar von Anna Hoben

Es wird ja gern von der "neuen Normalität" gesprochen, seit die Pandemie grassiert. Aber auch diese neue Normalität ändert sich, sie ist heute nicht die gleiche wie vor einem Jahr. Zur aktuellen Normalität gehört, dass Schülerinnen und Schüler vor dem Unterrichtsbeginn ein Stäbchen in der Nase herumdrehen. Dazu gehört, dass Münchnerinnen und Münchner mit Termin und negativem Testergebnis in der Innenstadt Klamotten kaufen können, solange die Sieben-Tage-Inzidenz nicht über 200 steigt. Und dazu gehört auch, dass Parteien ihre Kandidatenlisten zur Bundestagswahl in digitalen Sitzungen aufstellen.

Wenn die Stadt nun alle Sitzungen von Stadtratsausschüssen absagt, in denen keine dringlichen Themen diskutiert werden, ist der erste Impuls: Klar, Treffen mit vielen Personen sollten vermieden werden, wenn möglich - zumal bei den gerade schnell steigenden Infektionszahlen. Schließlich darf man sich privat zurzeit gerade einmal mit einer Person treffen, mit der man nicht zusammenlebt. Der zweite Impuls aber ist: Warum gibt es nach einem Jahr Pandemie keine besseren Ideen? Warum hat die Stadt nicht bereits eine Teststruktur für die Ausschüsse geschaffen - so wie es sie nun an den Schulen gibt, so wie die Politik es vom Handel fordert? Auch vor den Vollversammlungen des Stadtrats können Teilnehmer seit einiger Zeit vorher einen Schnelltest machen. Und was ist eigentlich aus den Hybridsitzungen geworden, die der Stadtrat vor sechs Wochen beschlossen hat? Die rechtlichen Voraussetzungen dafür hat der Freistaat geschaffen, die Stadträte könnten also halb digital, halb in Präsenz tagen. Die Verwaltung arbeite mit Hochdruck daran, ist zu hören. Aber sechs Wochen sind in Pandemiezeiten eine Ewigkeit; und das Instrument würde jetzt dringend gebraucht.

Es ist vielleicht nicht gleich die "Aushöhlung der Demokratie", die manche Oppositionsfraktionen nun befürchten. Aber die Stadt sollte alles tun, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass demokratische Prozesse abgewürgt werden. Die Debatten in den Ausschüssen sind für die politischen Entscheidungen elementar. Es gäbe durchaus Möglichkeiten, sie sicher stattfinden zu lassen.

© SZ vom 15.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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