Kleine Münchner Vogelkunde (8):Der Seidenschwanz

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Ein echtes Münchner Kindl ist dieser Vogel nicht. Vielmehr darf man ihn zu Recht einen "Zuagroasten" nennen: Der Seidenschwanz.

Astrid Becker

Zugegeben: Ein echtes Münchner Kindl ist dieser Vogel nicht. Vielmehr darf man ihn zu Recht einen "Zuagroasten" nennen. Denn der Seidenschwanz stammt eigentlich aus der sibirischen Taiga, aus Nordfinnland und Schweden. Wenn dort die kalte Jahreszeit ausbricht und damit auch das Futterangebot schwindet, legen diese Vögel oft Tausende Kilometer in Richtung Süden zurück und landen dabei, bei besonders eisigen Temperaturen, sogar bei uns.

Nichts lieben diese Vögel mehr als Beeren: Ein Schwarm von Seidenschwänzen schafft es, einen Vogelbeerbaum in nur wenigen Minuten komplett kahl zu fressen. (Foto: Foto: Heinz Tuschl/oh)

Auch in diesem Jahr sind wieder große Schwärme dieses Vogels nach München gereist - Experten rechnen damit, dass es heuer zur stärksten Seidenschwanz-Invasion seit Jahrzehnten kommen wird. Zu beobachten sind diese besonders hübschen Vögel derzeit im Nymphenburger Park, in Moosach, in Feldmoching und vereinzelt auch in Schwabing, Haidhausen und Grünwald.

Dass sich der Seidenschwanz besonders gerne dort niederlässt, hat mit dem reichen Vorkommen an Beeren zu tun - seiner Leibspeise. Große Schwärme schaffen es, einen Vogelbeerbaum innerhalb weniger Minuten komplett leer zu fressen. Dafür besitzt der Seidenschwanz sogar eine, im Verhältnis zu seinem Körpergewicht, besonders große und effizient arbeitende Leber, um den Alkoholgehalt überreifer Früchte rasch abbauen zu können.

Auch ihr Äußeres könnte mit dieser Beerenvorliebe zu tun haben - zumindest wird diskutiert, ob es sich bei dem roten Wachsblättchen am Flügel, das kein anderer europäischer Vogel besitzt, um die Nachahmung einer Vogelbeere handelt. Wenn dies wirklich zutrifft, finden es Seidenschwänze wohl besonders attraktiv, wenn ihr Partner zum Anbeißen aussieht.

Doch nicht immer findet so eine Reise ins Beeren-Schlaraffenland München ein glückliches Ende: Da Seidenschwänze aus ihrer Heimat keine Häuser und schon erst recht keine Fenster kennen, verunglücken sie recht häufig. Erst 2005 kam es zu dem bislang wahrscheinlich dramatischsten Unfall von Seidenschwänzen in der Stadt: Der Hunger hatte einen ganzen Schwarm bis zum Hauptbahnhof getrieben, wo er gegen die Scheiben einer Tram prallte und verendete.

Auch vor Mistel- und Walcholderdrosseln müssen sich Seidenschwänze hüten. Die sehen es nämlich gar nicht gern, wenn sich Fremde in den von ihnen beanspruchten Baumkronen herumtreiben. Seidenschwänze wehren sich gegen allzu heftige Zudringlichkeit mit lautem Schnabelknappen. Genügt dies nicht, stellen sie ihren spitzen Federschopf am Kopf auf und zeigen ihren schwarzen Kehlfleck.

Aus der Ferne werden sie wegen ihrer Größe oft mit Staren verwechselt. Zu erkennen sind Seidenschwänze an ihrem bräunlich-beigen Gefieder, ihrem gelb-weißen Flügelmuster und ihren gelben Schwanzenden. Wer diese seltenen Gäste im Garten begrüßen will, sollte Sträucher und Bäume nicht vor Winterende schneiden.

© SZ vom 16.01.2009/wib - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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