Kirchenaustritte in München:Der Papst und das liebe Geld

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Das umstrittene Verhalten von Benedikt XVI. hat in München nicht zu mehr Kirchenaustritten geführt. Die Folgen der Finanzkrise könnten die Kirche jedoch schlimmer treffen. Ein Besuch im Standesamt.

Lisa Sonnabend

Die Entscheidung ist lange gereift, nun ist es soweit: Die 27-jährige Sarah betritt das Standesamt an der Poccistraße in München. Sie trägt Jeans, kein festliches Kleid und kommt alleine, nicht in Begleitung ihres Partners. Nein, Sarah will an diesem Dienstagvormittag nicht heiraten und einen Bund fürs Leben schließen. Sie will sich trennen. Sie hat den Entschluss gefasst, aus der Kirche auszutreten.

Zimmer 353 im Standesamt an der Poccistraße: Die Adresse für alle, die aus der Kirche austreten wollen. (Foto: Foto: sonn)

"Die Institution Katholische Kirche gefällt mir nicht", sagt Sarah, nachdem sie im 3. Stockwerk ihre Wartenummer gezogen hat. "Die Einstellungen zu Schwangerschaftsabbruch und Verhütung sowie die Ablehnung von Homosexualität - das kann ich alles nicht vertreten." Sie knöpft ihren Mantel auf und setzt sich auf einen Stuhl vor dem Zimmer 353. Durch das offene Treppenhaus und die großen Fenster dringt viel Licht in den Warteraum, ein freundlicher Ort. Zwei Münchner sind noch vor Sarah dran. Es herrscht reger Betrieb, aber kein Ansturm.

Ende Januar sorgte Papst Benedikt XVI. für Aufruhr, als er Bischof Richard Williamson nach dessen Holocaust-Leugnung wieder in der Kirche aufnahm. Viele sahen eine Welle von Kirchenaustritten heranrollen, das Magazin Focus berichtete von deutlich mehr Austritten in Stuttgart, Regensburg und Paderborn als gewöhnlich. Einen Trend, den Christopher Habl, Sprecher des Kreisverwaltungsreferats München, für die bayerische Hauptstadt nicht ausmachen will.

Die Zahlen für Februar liegen zwar nicht vor, doch Habl versichert: "Am Standesamt herrscht nicht mehr Betrieb als sonst." Im Januar dieses Jahres traten 898 Münchner aus der Kirche aus - 68 mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Anstieg sei aber nicht durch das jüngste Verhalten des Papstes zu erklären, sagt Habl. Seit Jahren schon seien mehr Kirchenaustritte in München zu beobachten. Im Jahr 2006 wandten sich hier 6476 Menschen von der Kirche ab, 2007 waren es 7297 und 2008 9247.

"Ich glaube einfach nicht mehr"

Auch bei Sarah ist das Verhalten des Papstes nicht ausschlaggebend, dass sie sich für den Austritt entschieden hat. "Ich habe die Diskussion natürlich bewusst verfolgt", sagt sie. "Doch mit der Entscheidung habe ich schon lange gespielt und sie unabhängig von den Ereignissen getroffen."

Eine korpulente Frau kommt aus Zimmer 353, sie ist sichtlich aufgewühlt, nachdem sie ihren Austritt amtlich gemacht hat. Der Grund lautet bei ihr: "Ich glaube einfach nicht mehr", sagt sie und streift hastig ihren Schal über. Eine andere zieht ihre Wartenummer. Die ältere Dame mit großer, runder Brille und Hut will den Grund für den Austritt nicht nennen. "Es ist meine ganz persönliche Meinung", sagt sie. Der Papst habe damit aber nichts zu tun, versichert sie.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Jenü Tangl aus der Kirche austreten muss, obwohl er an Gott glaubt.

Nun wird Sarahs Nummer angezeigt. Sie verschwindet in Zimmer 353. Den Kirchenaustritt muss man persönlich erklären. Mitzubringen sind Personalausweis und 31 Euro für die Gebühren. Nach fünf Minuten ist Sarah zurück.

Die Kirchensteuer als finanzielle Bürde: In Zeiten der Finanzkrise drohen Austritte. (Foto: Foto: Schunk)

Auch Jenü Tangl ist an diesem Vormittag ins Standesamt des Kreisverwaltungsreferates gekommen. Er trägt verwaschene Jeans und ein zu weites, kariertes Hemd. Eigentlich will er gar nicht aus der Kirche austreten. "Ich bin gläubig", sagt der 51-jährige gebürtige Ungar. "Doch mir bleibt keine andere Wahl." Tangl braucht das Geld für andere Zwecke. Er hat Geldsorgen, ihm droht die Pfändung, erzählt er. An seinem Glauben ändere der Austritt nichts. Trotzdem: "Das ist ein trauriger Tag für mich heute", sagt Tangl, seine Stimme stockt.

Die Kirchensteuer als finanzielle Bürde - das ist ein Problem, das die Kirchen gut kennen. Zwar können Bedürftige beim Katholischen Kirchensteueramt München Anträge einreichen, um Stundungen, einen Teilerlass oder einen kompletten Erlass der Steuer zu beantragen, doch in der Praxis machen das nicht viele. Auch Janü Tangl nicht. Wenn sowieso schon wenig Geld da ist, schmerzt jeder Euro, der ausgegeben wird. "Ich spare so etwa 400 Euro im Jahr", sagt Tangl. "Das Geld schenke ich lieber meinen zwei Kindern und Enkelkindern."

Wahrscheinlich ist, dass als Folge der Finanzkrise es zu zahlreichen weiteren Kirchenaustritten kommt. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten sinkt bei vielen sicherlich auch die Bereitschaft, Kirchensteuer zu zahlen. Gerade junge Menschen wenden sich häufig von der Kirche ab. "Berufsanfänger treten überdurchschnittlich häufig aus", sagt Adelheid Utters-Adam, Sprecherin vom Erzbistum München-Freising. "Sie merken dann oft erst, dass sie ja Kirchensteuer zahlen müssen." In Zeiten einer ungewissen Zukunft werden viele überlegen, die Steuer einzusparen.

Beim Katholischen Kirchensteueramt München ist man sich des Problems bewusst. Es heißt: "Wir halten es für möglich, dass die Krise Auswirkungen hat." Für die Kirche könnte die Finanzkrise also weit schlimmere Folgen haben als das Verhalten des Papstes.

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