Kino-Jubiläum:Münchens Ort für abseitige Filme

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Das Werkstattkino hat sich in 40 Jahren seine Einzigartigkeit bewahrt. Ein Besuch beim Kollektiv der Einzelkämpfer.

Von Bernhard Blöchl, München

Das Museum, das sie hier verstecken, ist voller Schätzchen. Alte Filmrollen erinnern an die Zeit, als Kinogänger mit dem 35-Millimeter-Format noch etwas anfangen konnten. Zwei passende Projektoren machen sich breit, ein dritter ist eingepackt, einen Beamer gibt es auch. Gegenüber, an der Wand, die bizarrste Collage der Filmstadt München: Fotos von Gästen, Plakate, ein paar Nackte. "Zombies unter Kannibalen", "Lehrmädchen-Report", solche Sachen.

Das Museum ist in Wahrheit der Vorführraum des Werkstattkinos. Er ist das Heiligtum der Programmmacher, der Altar der Cineasten, das Cockpit der Bruchpiloten. Hier muss man hin, will man sich dem Wesen von Münchens hemmungslosem Kino nähern. Dorthin, wo vor 40 Jahren alles begann.

Zwei Jahre vor der ersten offiziellen Vorführung am 4. April 1976 hatte Rainer Pongratz das Kellerloch, in dem er wohnte, zum Vorführraum umgebaut. Er besorgte sich die Projektoren und durchlöcherte die Ziegelwand, damit die Zuschauer nebenan Filme sehen konnten. Die Besucher saßen dort, wo einst die Kegelbahn des Fraunhofer gewesen war, und noch heute gelangt man nur über den Hinterhof des Wirtshauses in die Kellerkaschemme des Underground-Kinos.

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Wo einst der Technik-Freak Pongratz werkelte, werkelt nun Wolfgang Bihlmeir. "Das Mädchen für alles", wie er sich nennt, verbringt hier schon mal 60 Stunden pro Woche. Seit 1979 gehört der ehemalige Punk zum Team, über all die Jahre gab es immer wieder neue Mitstreiter, die dem Mainstream den Kampf ansagten, um das Abseitige abzufeiern.

"Hier reinzugehen und zu arbeiten, das macht mir einfach Höllenspaß", sagt er und zeigt auf das rechte untere Eck der Collagen-Wand. "Der Kalender ist die Basis. Jeder trägt sich ein und bestückt seine Woche." Mit "jeder" meint er die Kollegen der Werkstattkino-Truppe. Zum "Kollektiv der Einzelkämpfer" gehören die Autorin Doris Kuhn, die Vorführer Bernd Brehmer und Erich Wagner sowie "der Neue", Thomas Stottele.

Ehrenamtliches Engagement

Wolfi, Dolly, Bernd, Wacko und Thomas, wie sie sich lieber nennen, machen das Programm und den ganzen Rest, ehrenamtlich versteht sich, "bis auf ein bisschen Taschengeld". Woche für Woche dürfen sich Filmfreunde auf eine mal schräge, mal noch schrägere Mischung freuen. "Eine permanente Schule des Sehens", wie Hans Schifferle einst in der Süddeutschen Zeitung schrieb.

"Jeder macht, wozu er Lust hat", erklärt Bihlmeir. "Wir reden darüber, aber wir diskutieren das Programm nicht aus." So landen Splatterfilme aus den Siebzigern ebenso auf der Agenda wie Western, Porno-, Polit- und Experimentalfilme; Reihen über japanische und philippinische Filmemacher, wie kürzlich mit Kidlat Tahimik, sowie immer wieder aktuelle Independent-Perlen, die andere Kinos nicht spielen. Vermeintliches Kassengift, gerne im 35 Millimeter-Format, aber auch auf Blu-Ray, dafür gibt es das Werkstattkino.

Dafür gibt es Cineasten wie Bernd Brehmer. "Das ist das Tolle, was mich immer noch erfüllt", schwärmt er. "Du weißt mit dem Aufschließen der Tür: Ich muss alles selber machen." Kassierer, Vorführer und Kloputzer in einer Person - das gibt es auch nur hier.

Was das Werkstattkino im Kern ausmacht, kann man am aktuellen Programm ablesen, das sich die Subkulturförderer für die Festwochen zum 40-Jährigen ausgedacht haben - ausnahmsweise gemeinsam, angereichert durch Beiträge von Freunden, Ex-Kollegen, Stammgästen und den Festivalpartnern "Bunter Hund" und "Underdox".

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Unter dem Motto "Entwicklungshilfe seit 1976" sind bis zum 13. April Skandalfilme wie die italienische Pseudodokumentation "Africa Addio" von 1964 zu sehen, "Neun Leben hat die Katze" (1968) von der Frauenfilm-Pionierin Ula Stöckl und - zum ersten Mal - ein exzessiver Trailer-Ritt durch alle Genres ("Traileralphabet").

Außerdem im Programm: Reinhard Hauffs Kinospielfilm "Der Hauptdarsteller" von 1977, in dem Mario Adorf und Hans Brenner zu sehen sind - und das Werkstattkino. "Zum Teil wurde hier im Kino und im Hinterhof gefilmt", erzählt Wolfgang Bihlmeir, der das Werk ausgesucht hat. "Man sieht relativ viel von der Fraunhoferstraße, das ist damals noch ein richtiges Glasscherbenviertel gewesen."

Geschichten und Geschichte des Werkstattkinos auch nur ansatzweise zu rekapitulieren, dafür bedürfte es vieler Gesprächsabende mit noch mehr Bier oder ein Sonderheft dieser Zeitung. Nur so viel: Drehte man einen Film über die Historie, dann kämen darin streitende Gründungsmitglieder vor, immer wieder Pornografie, zwei Kollegen, die 1981 wegen "illegaler Freizeitaktivitäten" in den Knast mussten, und ein Staatsanwalt, der einen Horrorfilm aus dem Projektor riss.

Sogar Regisseur Roger Corman war zu Besuch

Schöne Überraschungen gab es jedoch auch: Einmal stellte der mit einem Ehren-Oscar ausgezeichnete Independent-Regisseur Roger Corman einen seiner frühen Filme im Werkstattkino vor, ein anderes Mal vertonte der Autor Tag Gallager einen John-Ford-Western live im Keller. "Das Klavier hier runterzukriegen, das war schon abenteuerlich", erinnert sich Bihlmeir.

Der Charme des Improvisierten ist bis heute geblieben. Die legendären Programmzettel werden nach wie vor zusammengeklebt, bevor sie zum Drucker gebracht werden. Auf der Homepage warten die Besucher seit Jahren vergeblich darauf, dass sich beim Menüpunkt "Kinoprogramm - coming soon!" irgendetwas tut.

Zusammengehalten wird das Chaos seit jeher durch die Vereinsform. "Das ist die lockerste Methode, so etwas zu führen", glaubt Bihlmeir. Das von Bund, Land und - projektbezogen - von der Stadt geförderte Kino finanziert sich durch die Ticketpreise und das eigene Archiv. Etwa 1000 Kopien, darunter das gesamte Werk von Jörg Buttgereit, haben die Perlen- und Trash-Sammler in 40 Jahren zusammengetragen. Der Verleih an Filmmuseen und Festivals ist das zweite Standbein.

Was wird die Zukunft bringen? Wieder richtet Wolfgang Bihlmeir den Blick zur Wand. "Irgendwann wird der Vorführraum abgebaut und ins Stadtmuseum übernommen", zitiert er die Idee einer Bekannten. "Aber da lassen wir uns noch Zeit." Erst einmal wird gefeiert. An diesem Montagabend, dem runden Geburtstag, bleiben die 46 Plätze im Kinosaal leer, da flimmert kein Film über die kleine Leinwand. Ein seltenes Ereignis. Bernd Brehmer nennt den Grund: "Da wollen wir alle zusammen trinken."

© SZ vom 04.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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