Kino für Tiere:Bee-Movie

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Wouter Wirth hat für sein Projekt "Thank you for the honey" ein Medienkunststipendium der Filmhochschule erhalten. In seinem Atelier soll im Herbst sein Bienenfilm laufen. (Foto: Corinna Guthknecht)

Bienen bestäuben Pflanzen und geben Honig. Filmstudent Wouter Wirth will den Insekten etwas zurückgeben. Er verändert den Hollywood-Klassiker "Vom Winde verweht" so, dass er für Facettenaugen sichtbar wird. Ein Geschenk - und eine Mahnung

Von Elisa Schwarz

Die Party ist für Marinella, Marion und Marie-Antoinette. Wouter Wirth, 33, sitzt auf einem Teppich im Garten seines Ateliers an der Bavariastraße und feiert seine drei Bienenköniginnen. Vor ein paar Tagen sind sie von ihrem Hochzeitsflug zurückgekehrt - erfolgreich befruchtet, als Imker freut man sich da schon mal.

Buntes Kreppband flattert an den Bäumen, ein DJ legt an diesem Nachmittag Musik für die Gäste auf und dort, wo das Grundstück an die Bahnschienen grenzt, summen die Bienen um ihre Bienenstöcke. "Irre Viecher", sagt Wirth. Er meint das nett. Die drei Bienenvölker sind Teil seines Projekts "Thank you for the honey", für das er im vorigen Jahr das Medienkunststipendium der Hochschule für Fernsehen und Film erhalten hat. Und die "Bienefiz-Party" ist nur der Anfang eines verrückten Experiments: Wirth will den Film "Vom Winde verweht" so adaptieren, dass Bienen ihn sehen können. Auf einem Bildschirm, ein richtiges Bienenkino. "Ich will den Bienen das Beste zurückgeben, was wir haben", sagt Wirth, "und das ist das Kino."

In der Welt der Menschen hat die Biene ziemlich an Anerkennung gewonnen. Lange war sie das Insekt mit dem Stachel, das Honig produziert und in Kinderbüchern aussah wie Biene Maja. Heute ist sie zum Symbol geworden für die abstrakte Bedrohung durch die Klimakrise. Pestizide, Vernichtung von Blühwiesen, Hitze und Artensterben. Klingt schlimm. "Rettet die Bienen" - das klingt machbar. Darum ist die Biene nicht nur zu einem Symbol, sondern auch zu einem Politikum geworden: In Bayern unterschrieben knapp zwei Millionen Menschen das Volksbegehren "Rettet die Bienen!" und knackten damit den Rekord für das erfolgreichste Volksbegehren in der bayrischen Geschichte. Und weil so viel Hype auch immer eine Einnahmequelle ist, bieten einige Bauern nun auch Patenschaften für bienenfreundliche Wiesen an. In der Stadt, wo es wenig Wiese gibt, gibt es immerhin viele Paten.

Es geht genau um diese Überinszenierung, auf die Wouter Wirth aufmerksam machen möchte. Ihn nervte es, dass im Wahlkampf auf einmal jeder Politiker Bienenretter sein wollte. Dass auf den Plakaten die Biene so verniedlicht wurde - mit Blümchen und Honigtopf und glänzenden Flügeln. Eher Biene Maja als wichtiges Nutztier, das unsere Pflanzen bestäubt, Wachs und Honig produziert und so ganz nebenbei das Ökosystem stabilisiert. "Unser Blick auf die Dinge ist total anthropozentrisch", sagt Wirth. "Ich will, dass der Mensch mal diesen Blick von außen betrachtet." Dafür braucht er Marinella, Marion und Marie-Antoinette. Und dafür braucht er das Bienenkino.

Um zu erklären, wie er den Film bienengerecht ändern will, nimmt Wirth eine Bierflasche vom Tisch. Normalerweise, sagt er, fährt die Kamera in 25 Bildern pro Sekunde ein Motiv ab, zum Beispiel das Bierflaschenetikett. Würde eine Biene still auf einer Blume sitzen und so einen Film anschauen, sähe sie nur ruckelnde Aufnahmen. Darum berechnet Wirth die Zwischenbilder, macht das vorliegende Material also kleinteiliger, damit aus den 25 Bildern pro Sekunde 300 Bilder werden und damit ein flüssiger Bienenfilm. Wirth nutzt dafür eine spezielle Software und einen Computer mit hoher Rechenleistung. Die Umrechnung allein wird etwa eine Woche dauern, und dann, sagt Wirth, fangen die Probleme erst richtig an.

Zum einen gibt es kein Display, das die erhöhte Bilderanzahl wiedergeben kann. Zum anderen ist die Farbangleichung schwierig. Bienen haben mehr als 6000 Einzelaugen und sehen die Welt wie durch viele kleine Strohhalme in einem Rastermuster. Ihr Farbspektrum ist leicht nach links verschoben - es beginnt schon im ultravioletten Bereich und endet vor den langwelligen Farben, den Rottönen. Mohnblumen sind für Bienen schwarz, leuchten dafür aber, weil die Blüten UV-Licht reflektieren, das Bienen wahrnehmen können. Für Bienen ist das wie ein Nektar-Navigationssystem. Forscher haben sogar extra einen Bienenfarben-Katalog entwickelt: Bienenpurpur (für uns gelb), Bienenschwarz (für uns rot). Nur wenn Bienen schnell fliegen, verschwimmen die Farben und sie sehen nur noch schwarz-weiß.

"Ich weiß noch nicht so genau, wie ich das mit dem UV-Licht mache", sagt Wirth. "UV-Licht ist ja keine Farbe." Es hat zu regnen begonnen, die Party wurde in sein Atelier verlegt. Auf einem Schränkchen stapeln sich Honig-Gläschen. Honig-Matcha, Bienello in Bärchenform, echter bayrischer Honig, Honig mit Duft aus der Provence. Alles Geschenke von Gästen und Freunden. Er sei ja jetzt auch der "Bee-Man", sagt ein Kumpel zu ihm, was ein bisschen nach neuer Marvel-Heldenfigur klingt. Dabei ginge es gar nicht nur um die Biene, sagt Wirth. Sondern um den Menschen und seinen einseitigen Blick auf die Welt - insbesondere in Filmen.

Die Diskussion um den neuen James Bond zum Beispiel. Allein das Gerücht über eine weibliche Geheim-Agentin löste schon Schnappatmung bei den Fans aus, während die Filmwelt gar nicht mehr aufhörte, sich selbst auf die Schulter zu klopfen bei so viel Diversität - und das in einem so ur-männlichen Klassiker. "Aber nur, weil plötzlich eine Hauptfigur weiblich ist, ist das noch lange keine weibliche Perspektive", sagt Wirth. Hinter der Leinwand ist die Filmindustrie nach wie vor dominiert von männlichen und weißen Drehbuchautoren und Produzenten - mit einem überwiegend konservativen Blick auf Geschlechterrollen. Mann mit Knarre, Frau mit High Heels. 120 Minuten lang Klischees. "Wir sind gesellschaftlich so viel weiter, nach allem, was wir über Sexismus gelernt haben", sagt Wirth. "Da können wir nicht einfach weiter so Geschichten erzählen wie bisher."

Es ist nicht so, als wäre Wirth schon immer an Kunst interessiert gewesen. Er studierte Philosophie, Literaturwissenschaften und Komparatistik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ein "idealistischer, verträumter, vergeistigter Philosophiestudent" sei er gewesen, sagt er. Einer, der nicht so wahnsinnig viel mit seinen Kommilitonen anfangen konnte, aber viel mit Filmen. Drei Jahre lang schaute er jeden Tag zwei, drei Filme, sagt er, alle in Schwarz-Weiß. "Die haben bewiesen, dass sie groß sind", sagt Wirth.

Heute schaut er kaum noch Filme, dafür viele Serien. "Nanette" zum Beispiel, von der australischen Comedian Hannah Gadsby, die über ihre Homosexualität spricht, über ihren Weg, Witze zu machen, um über ihre Diskriminierung hinweg zu kommen. "Damit identifiziere ich mich als Mann hundert Mal mehr als mit einem pseudo-männlichen Charakter", sagt Wirth.

Als er noch Schwarz-Weiß-Filme schaute, entdeckte er eine Anzeige, gepostet im Jobportal der Uni. Professor sucht Unterstützung nach Hüft-OP. Briefkasten leeren. Einkaufen. Solche Sachen. Wirth weiß nicht mehr genau, warum er hängen blieb an dieser Anzeige, er kannte den Professoren nicht, er schrieb ihm trotzdem. Ein paar Tage später fing er an bei Rainer Crone, der das erste Werkverzeichnis von Andy Warhol verfasste. Er fragte Wouter Wirth, ob er nicht mit ihm Ausstellungen kuratieren wollte. In New York. Moskau. Madrid. Wirth sagte zu. Da war er gerade 23 Jahre alt.

Wirth merkte schnell, das die Kunstbranche nichts für ihn ist, diese Sektempfänge, die Arroganz mancher Künstler. Er stieg aus nach drei Jahren, bewarb sich an der Filmhochschule in München, mit einem Film über Steine auf dem Königsplatz. Über deren Gleichgültigkeit gegenüber Menschen. Als er dann im ersten Jahr im Unterricht lernte, dass Stubenfliegen etwa 250 Bilder brauchen, damit sie Bewegung wahrnehmen können, wechselte er von der Perspektive eines Steins in die der Insekten. Las Studien über die Wahrnehmung von Bienen und fragte einen Kommilitonen, der Imker ist, was man als Imker so macht. Von ihm bekam er dann auch die Bienenstöcke für sein Projekt.

Die Bienen-Premiere des Hollywood-Klassikers plant Wirth für Oktober oder November. Im Moment stellt er sich das so vor: Ein maßangefertigter Bienenstock steht in der Mitte des Ateliers. Durch eine Glasscheibe können die Bienen auf einen Bildschirm schauen, auf dem die Bienen-Version von "Vom Winde verweht" läuft - der kommerziell erfolgreichste Film aller Zeiten, darum wählte Wirth ihn aus.

Vielleicht wird er einen Samtvorhang vor den Bildschirm hängen. Honigpopcorn verteilen. Alles ein bisschen überinszenieren. Und während Marinella, Marion und Marie-Antoinette dann eventuell dabei zusehen, wie Scarlett O'Hara das Herz bricht - "oh Ashley!" - werden die Ausstellungsgäste auf dem Display einen Film sehen, den sie nicht mehr verstehen. Zumindest nicht aus der menschlichen Perspektive.

© SZ vom 26.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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