Rosanna stellt sich seitlich hin, stemmt die linke Hand in die Hüfte, mit der anderen streicht sie rasch die langen blonden Haare hinter die Schulter, dann dreht sie den Kopf nach vorne und knipst ein strahlendes Lächeln an. Rosanna weiß, wie sie sich vor der Kamera zu bewegen hat. Sie ist Model - und das, obwohl sie noch zur Grundschule geht.
Die Neunjährige ist an diesem Samstagmittag mit ihrer Mutter und ihrem Bruder von Krailling zur Agentur Kids in Moosach gekommen, die sich auf Kinder- und Jugenddarsteller spezialisiert hat. Rosanna lässt neue Fotos von sich machen, denn ihre Sedcard muss aktualisiert werden. In einem pinken Disney-T-Shirt, kurzen Jeans und dicken Turnschuhen posiert Rosanna vor der blauen Fotowand. Inhaberin Nina Pappi schießt die Bilder selbst. "Du hast abgenommen", meint die 46-Jährige. "Das Gesicht ist schmaler, das steht dir gut." Auch bei Kindermodels ist Dünnsein wichtig.
Rosanna ist bereits bei mehreren Modeschauen gelaufen und hat in einem Werbespot mitgespielt. Auch ihr zwölfjähriger Bruder Yannic hat eine Sedcard bei Kids, die schon ein Jahr lang nicht mehr aktualisiert worden ist. Er posiert nach Rosanna. Pappi achtet darauf, dass die Daten ihrer Kunden immer aktuell sind. Und Kinder wachsen nun einmal schneller und verändern sich mehr als normale Models.
Die Sedcard besteht aus ein paar Fotos aus verschiedenen Perspektiven, einem kurzen Video, in dem die Kinder etwas von sich erzählen, und einigen Angaben wie Alter, Größe oder Hobbys. 50 Euro kostet es, eine neue anfertigen zu lassen, 30 Euro die Aktualisierung. Pappi überträgt die Sedcards in eine Datenbank, bereits mehr als 300 hat sie gesammelt. Für Produktionsfirmen hat sie so mit nur wenigen Klicks potentiell passende Darsteller und Models parat: Blond oder lieber dunkelhaarig? Fußballcrack oder Gitarrenspieler? Bayerischer Dialekt oder Hochdeutsch? Ein braves Mädchen oder eines vom Typ Rotznase?
Ein Land im Castingwahn
In München gibt es inzwischen zahlreiche Casting-Agenturen, die sich auf Kinder spezialisiert haben. Pappi sagt: "Ich bemerke, dass in letzter Zeit immer mehr Kunden zum Casting kommen wollen." Warum dies so ist, könne sie sich jedoch nicht erklären. Ob es daran liegt, dass Deutschland dem Castingwahn verfallen ist? An diesem Donnerstag geht die sechste Staffel von Germany's Next Topmodel zu Ende. Doch auch bei Sendungen wie Deutschland sucht den Superstar, Das Super-Talent oder Popstars treten junge Deutsche auf, deren größter Wunsch es ist, berühmt zu werden. Es wäre ein Wunder, wenn dies nicht auf die Kinder des Landes abfärbte.
Warum Rosanna modelt? "Es gefällt mir, mich im Fernsehen zu sehen", meint die Neunjährige. Ihr Bruder gibt als Berufswunsch an: "Schauspieler oder Pilot." Der neunjährige Justin, der an diesem Mittag erstmals in die Agentur kommt, um Fotos von sich machen zu lassen, antwortet auf die Frage, was er einmal werden will: "Sänger, Schauspieler oder Superstar." Auch für ihre beiden Söhne, sieben und elf Jahre alt, hat Pappi Setcards angelegt, sie wurden schon mehrmals für Werbespots gebucht. Warum die beiden mitmachen? "Ihnen geht es vor allem um eine Aufbesserung des Taschengeldes", lacht Pappi.
Etwa 100 bis 250 Euro erhalten Kinder für einen Auftrag, das Shooting dauert in der Regel einen Tag. Die Schule leidet meist nicht darunter, denn die meisten Kinder bekommen nur alle drei bis sechs Monate einen Einsatz.
Germany's Next Topmodels: Sie laufen mit neun Jahren bei Modenschauen oder spielen mit elf in Kinofilmen mit. Zu Besuch bei einer Kinder-Castingagentur in München.
Pappi, die früher selbst geschauspielert hat, leitet die Münchner Agentur seit 2005 als Franchise-Unternehmen, der Hauptsitz von Kids liegt in Hamburg. Die Agentur hat die 46-Jähirge im Erdgeschoss ihres Wohnhauses in der Jakob-Hagenbucher-Straße eingerichtet, einer kleinen Straße mit Einfamilienhäusern nahe des Moosacher Bahnhofs. Das Büro und das Studio befinden sich dort, wo sich in gewöhnlichen Häusern Küche und Wohnzimmer finden. Eine große Glastür führt hinaus in den Garten, in dem ein riesiges Trampolin steht.
Ein echter Profi
Yannic wird nun mit einer Videokamera gefilmt, damit potentielle Auftraggeber sehen, wie er sich vor der Kamera verhält, ob er Dialekt spricht, ob er draufgängerisch oder eher zurückhaltend ist. Der Zwölfjährige ist alles andere als schüchtern, er ist echter Profi. Das Sprechen vor laufender Kamera ist für ihn nichts Ungewöhnliches.
Er scherzt und berichtet ausführlich von seinem letzten Casting. Dabei wurden Darsteller für die Kinoverfilmung des Kinderbuchs Die Vampirschwestern gesucht. Auf einer Liegewiese in einem Freibad sollte Yannic ein paar Sätze aufsagen. Nun wartet er auf Rückmeldung. Er weiß genau: Wenn sich nicht bald jemand meldet, ist es eine Absage. Deswegen fragt er daheim immer wieder nach, wenn er aus der Schule kommt: "Mami, haben sie schon angerufen?"
Seine Mutter sagt: Wenn es ein paar Mal nichts wird bei Castings, dann sei die Enttäuschung bei ihren Kindern schon groß. Dann heißt es: "Warum müssen wir schon wieder so weit fahren, das klappt doch bestimmt diesmal wieder nicht." Doch wenn es klappt, Yannic in einer Zeitschrift abgebildet ist und die Klassenkameraden ihn drauf ansprechen, dann ist er stolz. "Die finden das extrem cool natürlich", sagt seine Mutter.
Ob Rosanna und Yannic selbst oder ihre Mutter die Modelkarriere vorantreiben? "Die Kinder müssen es von sich aus wollen", sagt Pappi. "Sonst wirken sie nicht natürlich und haben keine Ausstrahlung."
Nach dem Casting rennt Yannic in den Garten, Trampolin hüpfen. Er will unbedingt einen Salto machen. Beim ersten Mal bleibt er nach dem Sprung auf dem Rücken liegen. Doch beim zweiten Versuch landet er souverän auf den Füßen. Er ist zufrieden. Ein bisschen Wettbewerb gehört zu jedem Kinderleben dazu.