Kinderbetreuung:Unser Klo soll schöner werden

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In den Krippen und Kindergärten der Arbeiterwohlfahrt dürfen die Mädchen und Buben gemeinsam Entscheidungen treffen

Von Melanie Staudinger

Die Erzieherinnen sind zunächst ratlos gewesen. Denn eigentlich brauchten die Kinder in ihrer Gruppe längst keine Windeln mehr. Doch dann, ohne Ankündigung, ging es wieder in die Hose. Ein Kind nach dem anderen, immer wieder. "Warum?", fragten die Erzieher. Die Kinder hatten sogleich eine Erklärung parat. Sie mochten die Toiletten nicht, sagten sie unisono. Also blieben sie den Klos fern, mit den zu erwartenden Folgen. Die Kita-Fachkräfte ließen sich von den Kindern daraufhin erzählen, was genau ihnen nicht passe, was sie gerne anders hätten, wie die Toiletten ihnen gefallen würden. Heute ist das Bad bunt bemalt: dort ein Dschungel mit vielen Tieren und Pflanzen, daneben der Weltraum mit Planeten und Sternen. Und die Kinder, die lieben ihr neues Klo.

In den Kindertagesstätten der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Stadt und Landkreis München bestimmen nun die Kinder. Jede Krippe, jeder Kindergarten gibt sich eine eigene Verfassung. Jedes Kind bringt seine Meinung in die Gestaltung des Tages ein. Jeder muss sich an die Regeln halten, die gemeinsam erarbeitet wurden. "Mitreden - Einfluss nehmen" heißt das Projekt, das von der Bertelsmann Stiftung gefördert wird. Es soll bei den Kinder die Freude am Entscheiden, am Einbringen wecken in einer Zeit, in der die Wahlbeteiligung gering wie nie ist und sich viele Leute von der Politik enttäuscht fühlen. Die AWO-Kinder sollen sehen, dass es sich lohnt, wenn sie mitreden, dass nicht der lauteste, sondern der mit den überzeugendsten Argumenten sich durchsetzt, dass sie Konsequenzen von Entscheidungen mittragen und aushalten müssen.

800 Mitarbeiter arbeiten in den AWO-Kitas, 3000 Plätze bieten die gut 50 Einrichtungen. Im Vergleich zur Stadt mit ihren 420 Kitas ist die AWO ein kleiner Träger, im Vergleich zu anderen Wohlfahrtsverbänden aber einer der größten. "Es ist uns wichtig, dass die Kinder zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die Chance haben, Entscheidungen zu treffen, die ihren Alltag betreffen", sagt AWO-Geschäftsführer Christoph Frey. Sieben, acht oder neun Stunden verbringen Kinder heute im Kindergarten oder der Krippe, also meistens länger als daheim (wenn man die Schlafenszeit abzieht).

Demokratische Strukturen in Kindergärten und Schulen sind noch nicht allzu weit verbreitet, von privaten Einrichtungen mal abgesehen. Natürlich können sich Väter und Mütter über die Elternbeiräte einbringen, Schüler haben die Möglichkeit, sich über das Klassensprecheramt oder die Schülermitverwaltung zu engagieren. Aber den Alltag geben meist Erzieherinnen und Lehrer vor. "Das ist auch ein Lehrprozess für unsere Fachkräfte", sagt Julia Sterzer, die das Referat Kindertagesbetreuung bei der AWO leitet. Erzieherinnen müssten lernen, einen Teil ihrer Macht abzugeben, loszulassen und den vielleicht langwierigen Prozess der Meinungsbildung auszuhalten.

Schon die Kleinsten in der Krippe können abstimmen, welches Mittagessen sie bevorzugen oder was sie am Nachmittag tun wollen. Ihre Optionen sind auf Karten gezeichnet, die Kinder wählen, indem sie bunte Muggelsteine auf das favorisierte Bild legen. Im Kindergarten können die Kinder nachmittags selbst bestimmen, was sie machen wollen. Die Gruppenstruktur ist aufgelöst. Die Mädchen und Buben melden sich ab, indem sie ihre Karte an der Wand bei der jeweiligen Aktivität einstecken. Die Erzieher an den Stationen passen auf und wenn sich etwas Nennenswertes ereignet, schreiben sie dies auf einem Zettel. So können sie im Elterngespräch Stärken und Defizite aufzeigen, auch wenn alle Mitarbeiter für alle Kinder verantwortlich sind.

Das sind nur Beispiele, wie Sterzer betont. Denn den Einrichtungen wurde lediglich vorgegeben, dass sie sich auf den Weg zu mehr Partizipation machen sollen. Wie genau der Prozess läuft, ist jeder Kita selbst überlassen. Die AWO bietet aber Fortbildungen an, bezahlt Teamtage und hat Multiplikatorinnen ausgebildet, die ihre Kollegen schulen können. Wer sich jetzt bei der AWO bewirbt, muss sich von vorneherein mit dem Partizipationsgedanken anfreunden. Denn die Kinderparlamente sollen zur festen Einrichtung in den Kitas werden.

© SZ vom 27.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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