Kinderbetreuung:Hort für Grundschüler: Wieder ein Bewerbungsmarathon

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Anne Pächthold, hier mit ihren Kindern Jule (zwei Jahre alt) und Nele (sechs Jahre), sagt: "Ich finde es unzumutbar, wie viel Energie die Organisation der Kinderbetreuung kostet." (Foto: Stephan Rumpf)
  • Die erste Generation von Kindern mit Krippenplatzgarantie kommt in die Schule.
  • Viele Familien stehen jetzt vor einem Problem: Sie wissen nicht, wohin mit ihnen nach dem Unterricht.
  • Weil das Erziehungspersonal fehlt und die Stadt mit dem Ausbau nicht nachkommt, wird die Anmeldung abermals zur Glückssache.

Von Melanie Staudinger

"Was passiert eigentlich, wenn wir hier keinen Platz kriegen?", fragt der sechsjährige Julian plötzlich. Zusammen mit seiner Mutter Miriam Klossowksi ist er da gerade in der Grundschule an der Camerloherstraße in Laim, dort soll er von September an die erste Klasse besuchen. Dem Jungen sind solche Vorstellungsrunden vertraut. Jetzt muss er sich benehmen, einen guten Eindruck hinterlassen. Damit er bessere Chancen auf einen Platz hat als die anderen Kinder hier in der Schlange. Damit er einen der raren Betreuungsplätze bekommt.

Doch heute kann Miriam Klossowski ihren Sohn beruhigen. Die Schule wird ihn nehmen. "Er kennt es tatsächlich nicht anders", sagt die Mutter, während sie diese Szene erzählt. Und bei der Hortanmeldung wird es wieder Probleme geben, so wie auch in Krippen und Kindergärten.

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Die Stadt will Betreuungslücken am späten Nachmittag durch Horte schließen. Eine Grundschule testet das Modell bereits.

Von Melanie Staudinger

Der Bewerbungsmarathon fing an, als Julian acht Monate alt war und die Familie einen Krippenplatz suchte, und er ging im Kindergarten weiter. Schon da musste Klossowski ihren Sohn erst einmal in einer der teuren privaten Kitas anmelden, weil sonst nichts frei war, erst später wechselte er in eine städtische Kita. "Ein Glücksfall", sagt sie. Keiner aber, der sich wiederholen sollte. Heute steht sie wieder da - ratlos. Hort? Voll. Mittagsbetreuung? Voll. Regionalhort? Stehen schon zehn Kinder auf der Warteliste. "Suchen Sie sich doch ein Kindermädchen", riet die städtische Elternberatungsstelle. "Ich fühle mich allein gelassen", sagt Miriam Klossowski.

Wie ihr ergeht es vielen Familien in München. Die Suche nach einem Krippenplatz ist aufreibend, dank des Rechtsanspruchs aber immerhin von Erfolg gekrönt. Im Kindergarten kommen alle unter - nach langem Zittern. In der Grundschule stehen Eltern dann vor dem Nichts. Jahrelang schon ließen sie ihre Kinder ganztags betreuen und haben ihre Arbeitszeiten danach ausgerichtet.

Der seit knapp vier Jahren geltende Anspruch auf einen Kita-Platz hat einen Bedarf geschaffen, der in der Grundschule nicht mehr bedient wird. Zu viele Kinder gilt es unterzubringen, die Stadt hinkt mit dem Kita-Ausbau hinterher. Doch wenn Horte überfüllt sind und es nur an etwa jeder dritten Grundschule ein Ganztagsangebot gibt, brauchen Familien Alternativen.

Keine Absagen vom Kita-Finder

Wie viele Eltern aktuell auf einen Platz in Krippe, Kindergarten, Hort oder Mittagsbetreuung für September warten, will oder kann die Stadt nicht sagen. Eine Sprecherin des Bildungsreferats verweist auf die Systematik des Online-Anmeldeportals Kita-Finder. Der verschickt keine Absagen. Familien nehmen einen Platz an, andere rücken nach, neue melden sich an, Plätze werden frei - ein unendlicher Kreislauf, der angeblich keine Wasserstandsmeldung erlaubt.

Es sind Mütter wie Miriam Klossowksi in Laim, Anne Pächthold in Trudering oder Monika Schreck in Neuperlach, die genug haben von diesem Chaos und sich an die Öffentlichkeit wenden. Es sind gut ausgebildete Frauen, die nicht auf ihren Job verzichten wollen. Es sind Frauen, die stellvertretend stehen für die Situation von Hunderten Familien, die endlich eine Lösung erwarten von einer Stadt.

Im Osten Münchens kämpft Anne Pächthold für die Familien an der Feldbergschule. Eine idyllische Gegend, eine Reihenhaussiedlung, man kennt sich - ein Paradies für junge Familien, die den hohen Mieten der Innenstadt entkommen wollen. Eltern haben dort eine Mittagsbetreuung organisiert, die Stadt betreibt den Hort, an der Grundschule selbst existiert kein Ganztagsangebot. "Wir haben eine riesige Schule, die nachmittags leer steht", sagt Pächthold. Vor Wochen schon hat sie angeprangert, dass Nachmittagsplätze für 60 Kinder fehlen. Die Stadtteilpolitiker monierten das ebenso wie die Stadtratsfraktionen der Grünen und der CSU.

Bisher aber hat die Stadt die Eltern nur vertröstet. Manchen wurde die Warterei zu viel. Sie suchten sich eine andere Lösung, eine Privatschule oder einen Babysitter, und verschwinden so von der Warteliste. Doch noch immer sind 20 Kinder unversorgt. Das Ärgerliche: Theoretisch könnte der Hort alle Kinder aufnehmen. Es fehlt aber an Personal, um alle Gruppen voll auszulasten. "Wir Eltern hängen in der Luft. Wir hoffen auf Lösungen, nicht nur auf ein Antwortschreiben", sagt Anne Pächthold, deren sechsjährige Tochter im September in einer Mittagsbetreuung unterkommt.

Sie hat mehr Glück als Anna Kirchner. Die Alleinerziehende weiß bisher nicht, wo sie ihre Tochter nachmittags betreuen lassen soll, wenn die Sechsjährige in die Schule kommt. Kirchner arbeitet am anderen Ende der Stadt, braucht fast eine Stunde dorthin. Schon jetzt hat sie mit ihrem Chef einen Kompromiss vereinbart und arbeitet einen Teil ihrer Stunden von daheim aus. "Mehr geht nicht", sagt Kirchner, die ihren echten Namen lieber verschweigt, weil sie Angst hat, dass sich ihre Situation sonst noch mehr verschlechtert.

Monika Schreck, hier mit ihrer Tochter Julia, hat eine Kampagne gestartet und fordert größere Anstrengungen bei der Erziehersuche. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Hort will ihr bis Ende der Woche Bescheid geben, ob sie nicht doch einen Platz erhält. Vielleicht komme ein neuer Erzieher, dann könnten sie sieben Kinder mehr aufnehmen, wurde ihr gesagt. Ein Strohhalm, nach dem die Frau greifen muss, weil sonst kein Ausweg bleibt. Um die Raten für die Wohnung zu bezahlen, muss sie Vollzeit arbeiten, die anderen Betreuungseinrichtungen, die sie angefragt hat, haben alle abgesagt, einen eigenen Betreuer kann sie sich nicht leisten. "Wenn das mit dem Hort nichts wird, muss ich mir vielleicht eine andere Schule suchen", sagt Kirchner. Dann müsse sie das Mädchen täglich hinbringen und abholen - eine zusätzliche Belastung für die Alleinerziehende.

Die Eltern an der Feldbergschule versuchen, sich gegenseitig zu helfen, wo es nur geht. "Wir haben jedes Jahr Ende April zwischen 70 und 80 Kinder auf der Warteliste", berichtet Jochen Stauber, Vorsitzender der Mittagsbetreuung. Im Mai könnten an 30 bis 40 Plätze vergeben werden. Der Rest wartet weiter. Manchmal wird im Hort noch was frei, oder die reservierten Plätze für sozial schwache Familien werden nicht gebraucht, oder jemand zieht weg. "Wir kämpfen bis zum Schulanfang, um alle Kinder unterzubringen", sagt Stauber. Das alles geschieht ehrenamtlich, ohne Hilfe der Schule oder der Stadt. "Die Situation ist sehr belastend für uns alle", sagt Stauber.

Einen Stadtbezirk weiter, in Neuperlach, sieht es kaum besser aus. Dort wird gewartet, gehofft - und seit kurzem werden Unterschriften gesammelt. "Wir brauchen Betreuungsangebote, die funktionieren. Die müssen nicht kostenlos sein", sagt Monika Schreck. Sie engagiert sich im Kindergarten am Dietzfelbinger Platz. Unweit des Perlachparks ist eine beschauliche Siedlung entstanden, Stadtrandlage, perfekt für Familien. "Ich habe das Gefühl, die Stadt lügt sich in die Tasche", sagt Schreck. In dem Gebäude, in dem der Kindergarten untergebracht ist, gab es vor kurzem noch zwei Einrichtungen mit je 100 Plätzen.

Der Platz ist oft da, aber die Betreuer fehlen

Eine Leiterin ging in Pension, die Kitas fusionierten. Aus 200 Plätzen seien 146 geworden, sagt sie. Von denen sind nur 135 belegt, weil Erzieher fehlen. Knapp 50 Kinder kommen in die Schule, doch nur zwölf Neue dürfen nachrücken, weil noch mehr Mitarbeiter aufhören. Monika Schreck will den Stadtrat mit einer Unterschriftenkampagne auf diese Situation aufmerksam machen. Etwa 500 Erzieher dürften stadtweit fehlen, schätzen die SPD-Stadträte. "Der ganze Kita-Ausbau ist doch nicht zu Ende gedacht, solange das Personalproblem nicht gelöst ist", sagt Schreck.

Erst wenn es genügend Plätze und genügend Personal gibt, werden Kinder wie Julian nicht mehr denken, dass ihr Leben aus einer Reihe von Castings besteht. Der Junge weiß bisher nicht, dass der Hort ihn nicht aufnehmen wird. Seine Mutter hat ihm die Enttäuschung noch verschwiegen. Allzu lange wird Miriam Klossowski den Kleinen aber nicht mehr vertrösten können. Denn die anderen Kinder erzählen schon, dass sie bald in den Hort wechseln.

© SZ vom 14.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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