Kinder machen Theater:Alles auf Anfang

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Die Task-Schauspielschule stellt die Improvisation in den Mittelpunkt ihrer Workshops. Die Kinder und Jugendlichen proben nicht auf eine Aufführung hin, sondern entwerfen spontan in Kleingruppen verschiedene Szenen

Von Barbara Hordych

Zunächst einmal gilt es, verschiede- ne Geschwindigkeitsstufen auseinanderzuhalten: "Bei der ersten Stufe schleicht ihr müde durch den Raum, als ob ihr morgens zur Schule geht", erklärt Anna Winde-Hertling den 16 Teilnehmern die erste Aktion der Schnupperstunde. Die findet am frühen Freitagabend in einer ehemaligen Künstlervilla in Schwabing statt, betreut von der Leiterin der Münchner Task-Schauspielschule. Ein holzgetäfeltes Treppenhaus führt hoch in den ersten Stock, in dem das Büro und der Unterrichtsraum liegen. Während die Eltern im Eingangsbereich warten, wo die Zehn- bis Vierzehnjährigen ihre Schuhe und Jacken zurückgelassen haben, erhöht Anna Winde-Hertling im Übungsraum das Tempo: "Stufe vier!", ruft sie den vier Jungen und zwölf Mädchen zu: "Ihr habt verschlafen, eine Mathearbeit steht heute morgen an: Stellt euch vor, wenn ihr euch nicht beeilt, bleiben euch nur 30 statt 45 Minuten!"

In einer Actionszene rauben zwei Diebinnen eine Mitspielerin aus

Gekicher ringsum. Keine Frage, die dunkelhaarige Lehrerin in Jeans und T-Shirt trifft den richtigen Ton. Prompt beschleunigen alle, bis schließlich die höchste Stufe sechs gefordert ist: "Ihr müsst dringend zum Bus, rennt. Zieht eure Socken aus. Wenn ihr zu sehr rutscht, der Boden ist warm", ruft Anna Winde-Hertling in den Raum, in dem sich die Kinder trotz des hohen Tempos nicht gegenseitig an- und umrennen. Auch darauf sollen sie achten, hat die Leiterin ihnen noch vorab erklärt. Und dann ist erhöhte Konzentration verlangt, denn jetzt mixt Anna Winde-Hertling die Stufen übergangslos und rasch durcheinander. Wie war das noch einmal mit Stufe vier? Ach ja, die Mathearbeit . . .

Nach mehreren solcher Aufwärmrunden beginnt der zentrale Teil jeder Workshopstunde, die Improvisationsaufgabe: Die Mädchen und Jungen finden sich in Gruppen zusammen und ziehen jeweils einen Zettel. Auf diesem steht ein Satz, den nur die betreffende Gruppe zu lesen bekommt. Er soll in eine Spielszene eingebaut werden, die auf einer Bühne vor schwarzen Stellwänden präsentiert wird; einzige Requisiten sind Stühle, die auch als Tische oder Schränke eingesetzt werden können. Und schon startet ein Mädchen-Quartett mit einer Actionszene: Samantha sitzt auf einem Stuhl und beobachtet, wie die "Diebe" Kia und Miriam einem anderen Mädchen, Emily, die Tasche von der Schulter reißen. Die Bestohlene nimmt auf einem Stuhl neben Samantha Platz, die ihr eine Tasse Tee anbietet, um sie zu trösten. "Heute Vormittag ging es mir noch gut", jammert Emily - und zitiert damit den impulsgebenden Satz für die Szene.

Die Zuschauer verfolgen eine improvisierte Szene ihrer Mitschüler. Ihre Eindrücke diskutieren sie mit Leiterin Anna Winde-Hertling (Mitte). (Foto: Catherina Hess)

Für die Darbietung gibt es Applaus, dann wird sie in einer "Feedbackrunde" besprochen. Ein wichtiger Bestandteil der Stunde. "Erzählt mal, was ihr gesehen habt", ermuntert Winde-Hertling die Umsitzenden. Es dürfe auch Kritik geübt werden, sagt sie, und schon gibt es Kommentare. "Die Bestohlene war zu emotionslos", meint Lisa. "Das mit dem Teetrinken im Café kam ein wenig plötzlich", findet Leon.

In dieser "Feedbackrunde" gehe es nicht um richtig oder falsch, erklärt Hella Peperkorn, die künstlerische Leiterin von Task, das von ihr entwickelte pädagogische Konzept. "Es ist vielmehr ein Abgleichen: Was wollten die Spieler zeigen? Was haben die Zuschauer gesehen?" Ziel sei es, "dass die Kinder lernen, sachlich Kritik zu formulieren, andererseits aber auch merken, dass diese sie weiterbringt", sagt die Theaterregisseurin und Pädagogin.

Ausgehend von der Hamburger Zentrale sind seit 2002 zehn Task-Standorte in Deutschland entstanden. "Der Zuspruch ist groß", sagt Peperkorn. Die Eltern schätzten die Fähigkeiten, die ihre Kinder dort entwickeln, Teamplay, eine gute Wahrnehmung, Lust am Perspektivwechsel und Präsentationskompetenz. Anders als in vielen Schultheater-AGs steht die Improvisation im Mittelpunkt, es wird nicht auf die Aufführung eines Stücks hin geprobt.

Derweil erklärt Anna Winde-Hertling, wie sie sich das Feedback wünscht. Statt "Eh, das war unlogisch" schlägt sie vor: "Für das, was passiert ist, sind die Freundinnen zu ruhig." Danach zeigen die Spielerinnen ihre Szene noch einmal - und versuchen die Anregungen umzusetzen. Dieses Mal erweist sich überraschenderweise der Raub der Tasche als Problem: Die Bestohlene lässt sie nicht mehr los, die "Diebe" rackern sich vergeblich ab. Wodurch die Szene eine unfreiwillige Komik erhält. Zurück auf Anfang also und ein dritter Versuch.

Wer jetzt vermutet, dass die Spieler von den Wiederholungen enttäuscht sind, irrt. Alle Darsteller sind erpicht darauf, eine zweite oder dritte Chance zu erhalten. Bis Anna Winde-Hertling schließlich abbrechen muss - draußen warten die Eltern. "Aber ihr habt jetzt einen Eindruck, wie wir in unseren Kursen arbeiten, und könnt euch überlegen, ob ihr mitmachen wollt", sagt sie. Überlegen? Zumindest was die Kinder betrifft, ist die Entscheidung gefallen: Mitmachen wollen sie künftig alle.

© SZ vom 29.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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