Kampfsport:Blutige Liebe

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"Der Sport hat mich Respekt gelehrt": Wer weiß, was sonst aus dem Münchner Halbbrasilianer Michael Deiga-Scheck geworden wäre. (Foto: Seven Sport/oh)

Der Münchner Michael Deiga-Scheck hat sich Mixed Martial Arts verschrieben. Er sagt: "Der Sport hat mich Respekt gelehrt. Ich weiß nicht, was ohne ihn aus mir geworden wäre."

Von Andreas Overath, München

In Runde zwei warf er ihn auf den Rücken. Michael Deiga-Scheck kniete über seinem Gegner, holte aus. Schlug einen Schwinger von rechts, von links, eine harte Gerade durch die Mitte. Immer wieder suchten seine Fäuste das Gesicht des Kontrahenten. Doch der vermeintlich Wehrlose wehrte sich. Er blockte, klammerte, duckte sich weg und schlug von unten nach dem Kopf des Münchners. Nur abwerfen konnte er ihn nicht. Nach einer Minute war der Widerstand gebrochen: Deiga-Scheck fixierte den linken Arm seines Gegners und setzte sein ganzes Körpergewicht in einen Schulterhebel. Ein letztes Aufbäumen, dann klopfte ihm der Kontrahent auf den Rücken, "Tap-Out", wie es im Mixed Martial Arts (MMA) heißt, das Zeichen der Aufgabe. Deiga-Scheck rollte sich zur Seite ab und half dem Unterlegenen auf. Es war sein zweiter Sieg im zweiten Profimatch.

Deiga-Scheck kämpft in Deutschlands größter MMA-Serie "We love MMA", die an diesem Samstag zum ersten Mal Station in München macht. Der Veranstalter rechnet mit 2000 Zuschauern in der kleinen Olympiahalle. MMA, ein Mix aus mehreren Kampfsportarten, erlaubt Schlag- und Bodenkampftechniken, wie man sie vom Kickboxen, Jiu-Jitsu oder Judo kennt. Events verzeichnen stetig wachsende Zuschauerzahlen, immer mehr Kampfsportschulen bieten Kurse an. Trotz allem hat der Sport mit seinem Image zu kämpfen: Für viele Politiker ist MMA nichts als eine Prügel-Orgie, die sie am liebsten verbieten würden. In Internetvideos sind auch solche Bilder zu sehen: Kämpfer, die im Schlaghagel am Boden das Bewusstsein verlieren, ehe der Ringrichter einschreiten kann. Blutige Cuts, geschwollene Gesichter. Ausgetragen werden die Kämpfe in einem Käfig. Er dient der Sicherheit, soll das Herausfallen aus dem Ring verhindern, sieht aber auch martialisch aus.

Mit der Debatte habe er kein Problem, sagt Deiga-Scheck, vieles beruhe aber auf Hörensagen. Zum Gespräch hat er seine Handschuhe mitgebracht. "Damit fängt es an: Oft heißt es ja, dass wir mit bloßen Fäusten kämpfen." Er wünscht sich eine ehrliche Auseinandersetzung mit seinem Sport. "Jedem seine Meinung, aber bevor man urteilt, sollte man sich zumindest mit dem Regelwerk beschäftigen." Die Liste der Regeln, die United Rules of Mixed Martial Arts, ist lang, erlaubt im Profibereich aber auch Schläge zum Kopf, wenn der Gegner schon am Boden liegt. Ein Tabubruch? Nein, sagt der 30-Jährige. "Wer unten liegt, hat nicht unbedingt die schwächere Position. Wir trainieren solche Situationen jeden Tag und wissen, wie wir uns verteidigen." Er widerspricht dem Vorwurf, MMA verherrliche Gewalt und vermittle falsche Werte. Er sei der Gegenbeweis: "Ich war früher ein Hitzkopf, habe mir nie etwas sagen lassen und dadurch Entscheidungen getroffen, die mich in Schwierigkeiten gebracht haben. Der Sport hat mich Respekt gelehrt. Ich weiß nicht, was ohne ihn aus mir geworden wäre."

Deiga-Scheck, 1985 als Sohn einer Brasilianerin und eines Deutschen in Rio geboren, kommt mit zwölf nach Deutschland. Obwohl er die Sprache kaum spricht, findet er in seiner neuen Heimat Haar rasch Anschluss. "Ich war ein guter Fußballer, das hat mir die Eingewöhnung erleichtert." Sein Talent fällt dem FC Bayern auf, der den Spielmacher in seine Jugend holen will. Doch in dieser Zeit trennen sich seine Eltern. Er zieht mit der Mutter nach München, besucht weiter eine Sportschule in Taufkirchen. "Meine Mutter wollte nicht, dass ich noch mehr unterwegs bin. Also bin ich nicht zu den Bayern."

Mit 17 spielt Deiga-Scheck für einen Landesligisten und lernt über den Verein einen Agenten kennen, der ihm Kontakte zu Klubs im Ausland vermittelt. Der serbische Erstligist FK Vojvodina fliegt ihn zum Probetraining nach Novi Sad ein und bietet ihm einen Profivertrag an. Vor Saisonbeginn macht Deiga-Scheck Urlaub in Deutschland. Eher zufällig begleitet er einen Freund zum Thai-Box-Training. "Da habe ich mich sofort verliebt. Ich wusste: Das will ich machen." Er muss sich entscheiden: Profifußball oder seine Ausbildung im Einzelhandel beenden und es mit dem Kampfsport versuchen. Er fliegt nicht nach Novi Sad zurück. "Hätte ich mich verletzt oder den Durchbruch nicht geschafft, säße ich ohne Ausbildung da, ohne Perspektive. Das wollte ich nicht."

Als Deiga-Scheck zum MMA kommt, hat er sich bereits einen Namen als Thai- und Kickboxer gemacht. Im Stand ist er stark, aber auch der Bodenkampf reizt ihn: "Raufen, sich mit anderen auf dem Boden rumwälzen, das hat mir schon als Kind gefallen. In meinem Viertel in Rio musstest du dich ständig behaupten, sonst haben sie auf dir herumgetrampelt. Ich besonders, weil ich immer der Dünnste war", erzählt Deiga-Scheck, der heute in der Klasse bis 66 Kilo antritt. Im Brazilian Jiu-Jitsu muss er wieder ganz unten anfangen. "Im Training haben mich anfangs alle verrollt, ich hatte keine Chance. Das hat mich unglaublich motiviert." In Trainer Sergio Zimmermann findet er einen Mentor, der ihn im Bodenkampf ausbildet und zum MMA bringt. "Ich hatte nie eine echte Vaterfigur in meinem Leben, Sergio hat diese Rolle übernommen."

Heute ist Deiga-Scheck Profi und doch auch nicht, so sieht er es. "Profi würde für mich bedeuten, dass ich davon leben kann." Er hat mehrere Sponsoren, arbeitet aber nebenher als Personal Trainer. "Ich will meiner Mutter und meinen Verwandten in Brasilien ein gutes Leben ermöglichen, dafür kämpfe ich", sagt er. Auch ans Aufhören habe er im Lauf der Jahre immer mal gedacht. "Das hätte meine Mutter aber niemals zugelassen", sagt er und lacht. "Sie hat es mir verboten. Weil sie weiß, dass ich, solange ich kämpfe, nie wieder in Schwierigkeiten geraten werde."

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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