Kammerspiele:Wo Blutkonserven neben Bierdosen liegen

Wie arbeitet Intendant Lilienthal am liebsten? Und was hat es mit dem Grab drei Meter unter der Bühne auf sich? Ein Blick hinter die Kulissen der Kammerspiele.

Von Christiane Lutz

Herrscher auf der Bühne

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(Foto: Stephan Rumpf)

Kein Bühnenbildner kommt an Richard Illmer vorbei. Der nämlich ist seit 1987 technischer Leiter der Kammerspiele, das bedeutet, er überprüft künstlerische Ideen auf ihre Umsetzbarkeit. Der eine Regisseur wünscht sich ein riesiges Fitnessstudio, der andere nur eine freischwebende Riesenwolke auf der Bühne. Was geht und was nicht, bespricht man auf der Bühnenmodellabgabe, ein Termin, bei dem schon der ein oder andere Bühnenbildnertraum platzte. "Aber eigentlich finden wir meistens einen Kompromiss", sagt Illmer. Die technische Ausstattung des Hauses spielt dabei eine Rolle, die Materialien dürfen nicht leicht entflammbar sein, zu teuer darf es natürlich nicht werden und das Bühnenbild muss sich in einem akzeptablen Zeitraum auf- und wieder abbauen lassen. "Alles bis auf den Kaffeelöffel muss zerteilt und verstaut werden können", denn an den Kammerspielen wird vormittags in einem Bühnenbild für die nächste Premiere geprobt und nachmittags umgebaut auf die Abendvorstellung. Von 6.30 Uhr bis Mitternacht ist Betrieb. Eine Besonderheit der Kammerspiele: Es gibt keine Seitenbühnen, auf denen Bühnenteile gelagert oder vorbereitet werden können. Szenenbilder werden entweder von hinten hereingeschoben oder von oben an Stahlseilen herabgelassen. Auch Dinge zu versenken ist möglich: Illmer zeigt im drei Meter tiefen Unterboden eine Art Bettkasten, "ein Grab für die nächste Premiere. Wer stirbt, verraten wir aber nicht".

Der Chef im Vorzimmer

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(Foto: Stephan Rumpf)

Da, wo die früheren Intendanten ihr Chefbüro hatten, steht jetzt ein einfacher Konferenztisch. Matthias Lilienthal, Intendant der Kammerspiele, zieht es vor, in einem leicht chaotischen, kleinen Vorzimmer-Büro zu arbeiten, gemeinsam mit seiner Assistentin Leonie Kusterer. Die beiden kennen sich aus Lilienthals Berliner Zeiten, er hat sie mit nach München genommen, weil sie gut miteinander arbeiten können und sich gut verstehen. "Mein Job ist, sein Leben zu organisieren", sagt Kusterer und zeigt auf dem Monitor Lilienthals prall gefüllten Terminkalender: Ein Leben voller Besprechungen, Proben, Flüge, Theaterbesuche und hin und wieder einem halbstündigen Mittagspäuschen. "Aber auch das fliegt oft raus, wenn es Wichtigeres zu tun gibt. Matthias ist jeden Tag von 9 bis 23 Uhr im Einsatz." Momentan hat sie noch mit der Organisation des Eröffnungswochenendes zu tun. "Diesmal wird es zwar keinen veganen Schweinebraten geben, aber auf jeden Fall kleines Fingerfood." Als seine Assistentin ist Kusterer außerdem erste Ansprechpartnerin für die Wünsche und Sorgen aller Mitarbeiter des Hauses. "Der Job ist viel emotionaler, als ich erwartet hatte", sagt die 29-Jährige. Sie muss Ärger puffern, interne Entscheidungen moderieren und hin und wieder mal den Kopf hinhalten, wenn der Chef gerade nicht da ist - so wie heute. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Geburtstagsgeschenk für eine Mitarbeiterin. Leonie Kusterer hat es besorgt.

Mantel und Unterhose

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(Foto: Stephan Rumpf)

Jedes Kostüm an den Kammerspielen ist eine Maßanfertigung. Die Schneiderei des Hauses macht alles - bis auf Schuhe. Gewandmeisterin der Damen ist Doris Kugler, 52. Ihr Job ist es, die Schauspielerinnen genau zu vermessen und die Entwürfe der Kostümbildner in Schnitte umzuwandeln, die dann die Schneiderinnen des Hauses anfertigen. Die Schneiderei ist ein lichtdurchfluteter Raum oben im Rückgebäude der Kammerspiele, hier geht es schließlich um die Wirkung von Farben und Stoffen. "Natürlich muss ich immer schauen, wie eine Inszenierung gedacht ist", sagt Kugler, "wenn eine Schauspielerin viel auf dem Boden im Dreck herumrutschen muss, macht es keinen Sinn, ihr ein Seidenkleid zu schneidern." Selbst die Unterwäsche bekommen Schauspieler für die Vorstellung gestellt, damit der Zuschauer nichts durchschimmern sieht, wo er nichts schimmern sehen soll.

Für Haut und Haar

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(Foto: Stephan Rumpf)

In der Maske kommt man besonders nah an die Schauspieler ran. Denn dort geht es um Haut und Haare. Elvira Liesenfeld, 47, knüpft gerade eine Perücke für Annette Paulmans Figur in "Figaros Hochzeit", die alte ist zu abgewetzt. Etwa 80 Stunden Arbeit und jede Menge Echthaar stecken in einer Theaterperücke, wie sie in so gut wie jeder Inszenierung vorkommt. "Brusthaartoupets und Schnauzbärte gehen natürlich schneller", sagt Liesenfeld. "Manche stricken zur Entspannung, ich finde Perücken knüpfen ganz kontemplativ." Später wird sie Paulmanns Frisur noch färben und schneiden. Alle Schauspieler haben einen mit Hilfe eines Silikonabdrucks erstellten Gipskopf in der Maske stehen, an dem Perücken exakt angepasst werden können. Je nach Aufwand kommen die Schauspieler zwei bis drei Stunden vor Vorstellungsbeginn in die Maske, um sich ihr Haar und ihr Make-up bühnentauglich machen zu lassen.

Gewichtheber mit Durchblick

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(Foto: Stephan Rumpf)

Wenn auf der Bühne irgendetwas rauf- und runterfährt, hat Michael Preußer seine Finger im Spiel. Der 51-Jährige ist Bühnenmaschinist in der Obermaschinerie der Kammerspiele. Seine Werkzeuge sind Zugstangen und Kettenzüge, die Tonnen an Gewicht heben und senken können. Auf dem Rollenboden, 17 Meter über der Bühne, laufen die Gewinde zusammen, man geht auf einfachen Stahlgittern, die den schwindelerregenden Durchblick auf die Bühne erlauben, wo gerade eifrig Perserteppiche gesaugt werden. Den Rollenboden erreicht Preußer zu Fuß oder über einen winzigen Aufzug, den "Bühnenflitzer", zwischendurch hält der bei Bedarf an fünf weiteren Galerien, wo die Scheinwerfer für das Seitenlicht angebracht werden. Wenn Gastspiele nach München kommen - und seit der Ära Lilienthal sind das eine ganze Menge - haben Preußer und seine Kollegen oft nur wenige Stunden Zeit, sich auf ein neues Bühnenbild, eigentlich entworfen für ein anderes Haus, einzustellen. "Es reist zwar immer einer von uns vorher mal hin und schaut, ob das passen könnte," sagt Preußer, aber manchmal scheitern Gastspiele schlicht an einem zu aufwendigen Bühnenbild. Inszenierungen bewertet Preußer nicht ausschließlich nach ästhetischen Gesichtspunkten, sondern danach, wie sie ihn als Handwerker fordern. "Der Fall Meursault", die erste Premiere der Spielzeit, sei, so sagt er, für ihn eine verhältnismäßig einfache Angelegenheit.

Das Tor zum Theater

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(Foto: Stephan Rumpf)

Bis zu 690 Plätze gilt es im Schauspielhaus der Kammerspiele jeden Abend zu besetzen. Heidi Oram, Mitarbeiterin im Kartenbüro, hat mit dafür zu sorgen, dass die auch voll werden. Seit 37 Jahren arbeitet sie an den Kammerspielen. "Damals gab's ja noch keine Computer", sagt sie, "die Karten wurden vor dem Verkauf hergestellt und von Hand gestempelt." Seit damals aber weiß Oram genau, welcher Platz in welcher Reihe welche Vorzüge oder Nachteile mit sich bringt. Das muss sie auch, denn heute noch schätzen viele Theatergänger den persönlichen Kontakt mit Oram und ihren Kollegen. Die Kasse ist zur Maximilianstraße hin offen und tagsüber der einzige Ort, an dem Zuschauer mit dem Theater in Verbindung treten können. "Viele kommen rein und fragen nach Empfehlungen für Inszenierungen, wollen wissen, worum es in den Stücken geht, wie lang es dauert und welcher Platz eben nun der allerbeste ist." Damit Heidi Oram diese Fragen auch beantworten kann, bekommt sie von den Dramaturgen des Hauses regelmäßig Einführungen zu den neuen Inszenierungen. Computer wurden im Kartenbüro übrigens erst 1995 eingeführt, inzwischen geht ein Großteil der Ticketbestellungen übers Internet ein. Es gebe, so Oram, aber immer noch genug Menschen, die lieber eine echte Theaterkarten in der Hand halten, als sich zu Hause ein PDF auszudrucken. "Das schaut einfach hübscher aus."

Blutiges Metier

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(Foto: Stephan Rumpf)

Die Requisite eines Theaters ist ein recht wundersamer Ort: In Kühlschränken stehen selbst angerührte Blutkonserven neben Bierdosen, auf Tischen liegen Kunststoff-Oberkörper mit abgeschlagenen Köpfen herum, im Keller des Hauses findet sich außerdem ein Sammelsurium unmöglichster Alltagsgegenstände, die man vielleicht mal auf der Bühne brauchen könnte. Requisiteure tun aber viel mehr, als nur Tisch und Stühle auf die Bühne zu stellen, sie gehören zu den größten Tricksern am Theater. Dinge müssen eben möglichst echt aussehen, ohne echt zu sein. Der Bereich Wunden und Verletzungen ist besonders faszinierend. Daniel Bittner, seit 20 Jahren Requisiteur, erklärt: "Es gibt drei Sorten vorgemischten Theaterbluts, frisch aussehendes, alt aussehendes und essbares Blut. Schmeckt angeblich nach Pfefferminz, sagen unsere Schauspieler." Er baut beispielsweise das spezielle Theatermesser, bei dem, wenn ein Schauspieler dem anderen dramatisch an die Gurgel geht, ordentlich Blut fließt. Das funktioniert mit Hilfe eines dünnen Schlauchs, der fast unsichtbar an der Klinge versteckt ist. Für seine Inszenierung von "Hamlet" im kommenden Januar hat Regisseur Christopher Rüping ein großes Blutbad geplant. Momentan arbeiten Bittner und seine Kollegen daran, selbst das Theaterblut zu mischen, auf Öl und Rote-Bete-Basis. Das ist günstiger als das Flaschenblut, wird allerdings auch schneller schlecht.

© SZ vom 26.9.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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