Jugendlicher auf dem G20-Gipfel:Jugend forsch

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Der 19-jährige Münchner Andreas Wiese ist in dieser Woche beim G20-Gipfel in London dabei. Wie kommt ein Jugendlicher dazu?

Lisa Sonnabend

Der Münchner Andreas Wiese, 19, wird am 1. und 2. April beim Londoner G20-Gipfel die Stimme seiner Generation vertreten. Er gehört den "Global Changemakers" an, einem Netzwerk politisch engagierter Jugendlicher aus aller Welt. Wiese studiert Sozialwissenschaften an der "Sciences Po Paris".

Kennt bedeutende Politiker und manchmal auch Frustration: Andreas Wiese ist beim G20-Gipfel in London dabei. (Foto: Foto: oh)

sueddeutsche.de: Herr Wiese, Sie nehmen am Gipfel der G20-Staaten in London teil. Was haben Sie als 19-Jähriger dort zu suchen?

Andreas Wiese: Meine Aufgabe ist es, die deutsche Jugend zu vertreten. Im Vorfeld habe ich mich mit zahlreichen anderen Deutschen ausgetauscht und nun bin ich gerade dabei, mit meinen 19 jungen Kollegen aus den anderen G20-Staaten gemeinsame Positionen zu erarbeiten. Diese werden wir dann gegenüber den internationalen Staats- und Regierungschefs sowie den Finanzministern vertreten.

sueddeutsche.de: Wie kam es dazu, dass Sie bei dem Gipfel dabei sein dürfen?

Wiese: Im vergangenen Jahr nahm ich im Rahmen der "Global Changemakers"-Initiative des British Councils als einer von 60 Jugendlichen am Weltwirtschaftsgipfel in Davos teil. Dort haben wir die Pläne der Politiker hinterfragt. Ich denke, dass ich meine Arbeit ganz gut gemacht habe, denn ich wurde gefragt, ob ich auch in London teilnehmen will.

sueddeutsche.de: Seit wann sind Sie politisch aktiv?

Wiese: Ich bin nicht Mitglied irgendeiner Partei. Mit 13 Jahren habe ich angefangen, regelmäßig Zeitung zu lesen. Am Maximilians-Gymnasium war ich mehrere Jahre lang Chefredakteur der Schülerzeitung - und habe zum Beispiel Günther Beckstein interviewt, als er noch Ministerpräsident war. Inzwischen studiere ich in Frankreich. Dort organisiere ich zur Zeit einen Jugendgipfel, der im November stattfinden soll. Es werden mehr als hundert Teilnehmer aus Europa und Asien erwartet.

sueddeutsche.de: Finden Sie, dass die Jugend sich zu wenig mit Politik beschäftigt?

Wiese: Unsere Gesellschaft ist sich oft nicht bewusst, dass ihr die Demokratie quasi in den Schoß gelegt wurde. Wir sollten uns dieses Schatzes der Mitbestimmung bewusst sein.

sueddeutsche.de: Ist es Aufgabe der Schule, Jugendlichen dies bewusst zu machen?

Wiese: Die Schule muss einen wichtigen Beitrag zu Demokratiebildung leisten. Wir erwarten aber oft zu viel von der Schule. Die Schule ist sicherlich nicht der Ort, an dem alle Probleme unserer Gesellschaft gelöst werden können. Auch von anderer Seite müssen Dinge beigesteuert werden.

sueddeutsche.de:Ist politische Arbeit nicht auch oft frustrierend?

Wiese: Natürlich sind nicht immer alle Ziele zu erreichen. Frustration sollte allerdings nicht dazu führen, dass wir aufgeben. Sie sollte uns anspornen, dass wir eine neue Möglichkeit suchen.

sueddeutsche.de: Wenn Sie auf dem Gipfel Bundeskanzlerin Angela Merkel kurz beiseite ziehen könnten, was würden Sie zu ihr sagen?

Wiese: Ich würde ihr in erster Linie aufzeigen, was die Anliegen der Jugend sind. Die Bildung muss einen höheren Stellenwert bekommen. In Deutschland verfügen wir über fast keine Rohstoffe. Wir sind weder Venezuela noch Nigeria, wo es noch Erdöl gibt. Unser Schatz ist das Wissen. Nur wenn wir uns darauf konzentrieren, werden wir eine gute Zukunft haben. Ich will Deutschland nicht klein reden, aber wir müssen uns bewusst sein, dass wir, wenn wir der Bildung nicht mehr Bedeutung einräumen, in Zukunft erhebliche Probleme bekommen. Ist keine Bildung vorhanden, finden die Menschen keine Arbeit.

sueddeutsche.de: Was würden Sie Merkel für den Umgang mit der Finanzkrise raten?

Wiese: In der Krise müssen wir die Aufmerksamkeit wieder auf die wirklich wichtigen Belange richten. In den vergangenen Jahren haben wir uns sehr stark vom Kapital steuern lassen. Wir haben alles nur auf Profit ausgerichtet. Der Arbeit muss wieder Vorrang vor dem Kapital eingeräumt werden, um Zufriedenheit in der Gesellschaft herzustellen. Es gilt, von einem ethischen Standpunkt her zu hinterfragen: Wo soll das ganze hinführen, was passiert mit den Menschen?

sueddeutsche.de: Welche Positionen vertreten Sie und die anderen Jugendlichen gemeinsam auf dem Gipfel?

Wiese: Es geht uns darum, dass die Regierungschefs bei all ihren Aktionen die Jugend berücksichtigen sollten. Aber auch unsere Anliegen sind unterschiedlich. Ein Jugendlicher, der in China lebt, hat andere Schwerpunkte als ein junger Deutscher. Hier bei uns ist die Unterstützung von Schlüsselsektoren wie der Automobilindustrie, in der viele unserer Eltern arbeiten, von größerer Bedeutung als in anderen Ländern. Bei Themen wie Klimaschutz und Klimawandel finden wir dagegen gemeinsame Positionen. Wir sind uns alle einig, dass wir - wie schwerwiegend die finanziellen Probleme derzeit auch sein mögen - unsere Zukunft nicht verbauen dürfen, indem wir weiter gnadenlos die Umwelt verschmutzen.

sueddeutsche.de: Mit wem werden Sie in London sprechen können?

Wiese: Geplant ist, dass wir zu Beginn des Gipfels den britischen Premier Gordon Brown treffen. Unserer Positionen werden anschließend in einer großen Runde vorgetragen. Aber ein politischer Gipfel unterliegt immer Veränderungen. Wenn Dringlichkeitssitzungen einberufen werden, wird der Plan möglicherweise sehr schnell umgeworfen. Ob und wann ich die deutsche Delegation treffen kann oder den deutschen Botschafter in London, steht noch nicht fest. Aber es ist eingeplant.

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