Diese Finger können zupfen. Sie fliegen geradezu über die Saiten, während dem Klangkörper einige Takte Rock 'n' Roll entweichen. Allerdings ist das Instrument, das Stefan Eckmüller an diesem regnerischen Abend, nur wenige Tage vor dem Jubiläumskonzert im Pasinger Rathaus, so versiert zu spielen weiß, keine E-Gitarre. Sondern eine Zither.
Rock 'n'Roll auf der Zither, dem Klischee nach brauchtümlichsten aller Instrumente? Für Eckmüller, den Vorsitzenden des Musikvereins, ist das weder ein Problem noch ein Stilbruch. Und wenn die 15 Musiker an diesem Sonntag, 2. Juni, mit einem Festakt im Pasinger Rathaussaal den 100. Geburtstag des Zitherorchesters München-Pasing (ZOMP) begehen, dann werden sie zwar nichts von Elvis oder Jerry Lee Lewis spielen. Aber auch ohne Rock 'n' Roll liest sich das Programm ausgesprochen abwechslungsreich - mit Werken von Johann Sebastian Bach, Béla Bartók oder dem Norweger Edvard Grieg zum Beispiel. Bei anderen Stücken tut sich das Zitherorchester mit einem Violinisten und einer Sängerin zusammen. Also nichts wie raus aus der Volksmusikecke? Das nun auch wieder nicht: Mit der "Hubertus Quadrille" aus der Feder von Herzog Max in Bayern, der die Zither ja auch in höfische Kreise eingeführt haben soll, haben die Musiker ein volkstümliches Stück einstudiert.
Sich über die Volksmusik zu erheben, das liegt den Pasingern ohnehin fern. Vielmehr geht es ihnen darum, das volle Potenzial der Zither auszuschöpfen, das Repertoire des Orchesters reicht von der Renaissance bis hin zur zeitgenössischen Musik. "Das ist es ja gerade, was so viele Menschen begeistert", sagt Eckmüller, "dass die Zither so vielseitig ist." Der 59-Jährige spricht das "e " in dem Adjektiv wie ein "a" aus, dehnt den Vokal, damit der Hinweis auf die 40 Saiten seines Instruments auch verstanden wird. In Pasing, das kann man anders nicht sagen, wird das Zitherspiel mit Ambition betrieben: Fünf Mal schon erhielten die Musiker den ersten Preis beim Deutschen Orchesterwettbewerb, den der Deutsche Musikrat seit 1986 auslobt. Sie traten in etablierten Spielstätten wie dem Schloss Schleißheim im nördlichen Landkreis München oder dem Kloster Zangberg bei Mühldorf auf, sie können auf Rundfunk- und Fernsehauftritte und auf drei CD-Aufnahmen zurückblicken, haben außerdem Konzertreisen in die USA und nach Rumänien unternommen. Kurz: Die Pasinger haben sich einen Namen erspielt in der Welt der Zithern. Bis in den Bayerischen Wald, wo Eckmüller ursprünglich herkommt und als Junge das Zitherspiel erlernte, war der Ruf dieses besonderen Orchesters gedrungen. "München-Pasing, für mich gab es nichts Besseres."
Das Zitherorchester probt alle 14 Tage im Karlsgymnasium am Pasinger Stadtpark. An diesem Abend sitzt neben Eckmüller die zweite Vorsitzende des Vereins, Gertrud Wiegele. Eine Frau mit raspelkurzen Haaren und wachen Augen, die bei der Probe Schokolade und Kekse an die Musiker verteilt. 72 Jahre ist sie alt, und - ein wenig paradox - die einzige Pasingerin im Verein. Vier Zitherspieler leben in München, der Rest des Orchesters kommt aus den Landkreisen München, Dachau, Starnberg, Wolfratshausen, Miesbach, Traunstein und Fürstenfeldbruck. Eine Musikerin wohnt in Gundelfingen im Landkreis Dillingen, an der Grenze zu Baden-Württemberg. 120 Kilometer von Pasing entfernt.
Wiegele hievt einen schweren Ordner auf den Tisch, blättert darin, zieht eine Liste mit Jahreszahlen hervor. In den vergangenen sechs Monaten habe sie kein Buch gelesen, sagt sie und klingt mit einem Mal ganz aufgeregt. Dafür jede Menge Protokolle und Mitgliederlisten. Mehr als einhundert Jahre reicht die Chronik zurück, die sie erstellt hat. Denn genau genommen nahm das Zitherspiel bereits 1908 seinen Anfang in Pasing, als sich in der damals noch eigenständigen Stadt der Zitherklub "Concordia Pasing" gründete. 1919 taten sich dessen Musiker mit den Spielern von "Jung Pasing" zusammen - die Geburtsstunde der "Zitherfreunde Pasing", wie die Gruppe sich zunächst nannte. 1921 gaben die Musiker ein großes Konzert in der Brauerei Pasing, dann reißt der Zweite Weltkrieg eine Lücke von mehr als 20 Jahren in Wiegeles Chronik. Erstaunlich sei aber, dass drei, vielleicht sogar vier Zitherspieler nach dem Krieg in Pasing wieder zusammengefunden hätten.
Die Öffnung für die zeitgenössische Musik vollzog sich unter Toni Gößwein, der das Orchester von 1970 bis 1993 leitete. Und dann ist da noch der Name Robert Popp, immer wieder fällt dieser. Traurigkeit schwingt mit, weich und wehmütig wie der Klang der Zither, wenn Eckmüller und Wiegele von dem langjährigen musikalischen Leiter erzählen. Seit Mitte der Achtzigerjahre dirigierten Gößwein und Popp das Orchester gemeinsam - mal stand der eine vor den Musikern, mal der andere. Doch es war vor allem Popp, der später die Zusammenarbeit mit Solisten - mit Flötisten, Cellisten oder Violinisten etwa - vorantreiben sollte. Im März war der passionierte Zitherspieler unerwartet verstorben, nach einer Operation am Herzen. "Er war der Motor, der Mittelpunkt des Orchesters", sagt Eckmüller. Im Oktober werden die Pasinger im "Treffpunkt Volksmusik" auftreten, einer Sendung des Bayerischen Rundfunks, das habe Popp noch angeleiert. Eine Stunde lang wird das Orchester live spielen, eine weitere Stunde werde aufgezeichnet. "Das ist wieder eine neue Herausforderung."
Jubiläumskonzert des Zitherorchesters München-Pasing am 2. Juni um 11 Uhr im Pasinger Rathaus, Karten unter 089/820 25 26.