Jubiläum:Geschichten aus "Niurid"

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Neuried feiert in diesem Jahr den 825. Geburtstag. Ortschronist Heinrich Mayer ist so etwas wie das wandelnde Gedächtnis der Würmtalgemeinde, die womöglich sogar noch um einiges älter ist

Von Johannes Korsche

Heinrich Mayer ist so etwas wie ein wandelndes Lexikon der Neurieder Gemeindegeschichte. Jeden ersten Mittwoch im Monat schlägt er das Lexikon in seinem Kopf auf und erzählt über die Würmtalgemeinde, die in diesem Jahr ihren 825. Geburtstag feiert. Allerdings, so sagt Mayer, sei Neuried eigentlich deutlich älter. Mindestens knapp 50 Jahre. Denn er hat eine Schenkungsurkunde aufgetan, datiert auf das Jahr 1150, die als Zeugen einen "Hartwik von niurid" nennt. "Neuried ist damit älter als München", sagt Mayer, denn die Landeshauptstadt wurde erstmals 1158 urkundlich erwähnt. Weil sich aber nicht alle einig sind, dass es sich in der Schenkungsurkunde tatsächlich um das Siedlungsgebiet der heutigen Gemeinde handelt, hält man es bei der Geburtstagsfeier in diesem Jahr lieber mit der ersten gesicherten Nennung aus dem Jahre 1194.

In den vergangenen 825 Jahren, die es Neuried also mindestens schon gibt, hat "die große Weltgeschichte von Neuried nicht allzu viel Kenntnis genommen", räumt Mayer ein. Trotzdem haben sich einige Geschichten in Neuried angesammelt, in denen sich teils auch jene "große" Geschichte ablesen lässt. Mayer hat insgesamt drei große Ereignisse in der Geschichte der Gemeinde ausgemacht. Sie erzählen von Kriegen und Bränden, aber auch von der Aufnahme von Flüchtlingen und von einem Teich. Eines dieser Ereignisse spielt sich während des Dreißigjährigen Krieges ab. 1632 fielen die Schweden in die kleine Siedlung vor den Toren Münchens ein und steckten neun Anwesen in Brand.

Urzelle: St. Nikolaus ist das älteste Gebäude der Gemeinde. (Foto: Catherina Hess)

Aber von vorne. Denn ehe sich die Wirren des Dreißigjährigen Krieges bis nach Neuried ausdehnten, verging viel Zeit, die vor allem durch unterschiedliche Besitzverhältnisse geprägt war. Vieles, was man heutzutage über die Entstehung und Entwicklung Neurieds in den ersten Jahrhunderten weiß, hängt mit der Sankt-Nikolaus-Kirche an der Gautinger Straße zusammen. Sie ist nicht nur das älteste Gebäude der Gemeinde, sondern auch der Grund dafür, warum dieses Jahr der 825. "Geburtstag" gefeiert wird. Denn die Urkunde von 1194, dem "Geburtsjahr" der Gemeinde, auf das sich alle einigen können, regelt das Verhältnis der Neurieder und der Forstenrieder Kirche. So wird darin die Forstenrieder Kirche in die Selbständigkeit entlassen. Bis dahin war sie eine "Filialkirche" der Neurieder Nachbarkirche. Das deute auf eine wesentlich längere Siedlungsgeschichte hin, ist sich Mayer sicher, denn bis so etwas passiere, müssten "vielleicht 80, 90 Jahre" Gemeindeleben vergangenen sein. "Es muss also davor schon etwas dagewesen sein", glaubt Mayer. Nur was und seit wann genau, weiß man nicht so recht. Auch der Ortsname gibt da wenig Hinweise. "Neuried", heißt nicht mehr als "neue Rodung" und verweist lediglich darauf, dass vor den ersten Häusern hier ein Wald stand: der Baierbrunner Forst, dessen Überbleibsl heute im Forstenrieder Park zu finden sind.

Das historische Neuried ist entlang der heutigen Gautinger Straße gewachsen, zunächst mit etwa fünf, sechs Häuschen, die sich lange Zeit höchstens bis zur heutigen Johans-Langmantel-Straße erstreckt haben. Ein Straßenname, der allein schon viel über die Neurieder Historie erzählt. Denn dieser Langmantel, ein Augsburger, kaufte im 14. Jahrhundert die Siedlung vom Kloster Rottenbuch, dem die ansässigen Bauern ihren Zehnten bis dahin abtreten mussten. So recht scheint sich das aber nicht rentiert zu haben, denn schon 1346 wechselt Neuried erneut den Besitzer. Von da an gehörte es für exakt 300 Jahre zum Kloster Ettal. Noch wenige Jahrzehnte vor der Säkularisation schließlich wurde Neuried zum letzten Mal in sakrale Hände "verkauft", an das Kloster Dießen. Mit der Säkularisation im Jahr 1803 wurden laut Mayer "aus einigen Lehensmännern auf einmal Grundbesitzer". Ein erheblicher Wandel für die gesellschaftlichen Strukturen des kleinen Dorfes.

Wo heute der Marktplatz asphaltiert ist, gab es einst einen Dorfteich, wie das Gemälde zeigt. (Foto: oh)

Denn in dem ärmlichen Bauerndorf gab es nun - zumindest ein paar wenige - einigermaßen wohlhabende Bürger. Johannes Dißl Michlbauer war so ein Neurieder, dem es wohl nicht allzu schlecht erging. Jedenfalls war er wohlhabend genug, um die erste bildliche Darstellung Neurieds in Auftrag zu geben. Und wieder hängt das mit einem Brand zusammen. "Diesmal aber ein hausgemachter", sagt Mayer. 1811 war an der Ecke Gautinger/Forstenrieder Straße, wo heute die Raiffeisenbank eine Filiale betreibt, eine Schreinerei. Ein offenes Feuer und einen Windstoß später standen wohl sechs Höfe entlang der Gautinger Straße in Flammen. Die Dächer brannten gut und schnell, waren sie damals ja noch mit Stroh gedeckt. Das Haus vom Michlbauer stand etwa auf der Höhe des heutigen Restaurants "Noi ridiamo" und war das erste, das von der Feuersbrunst verschont blieb. Dafür war er so dankbar, dass er eine Votiv-Tafel stiftete - "Gott sey ewigen Dank", heißt es in der Widmung. Die ist noch heute in der Sankt-Nikolaus-Kirche zu sehen. Direkt gegenüber dem Eingang unter einer Schutzmantel-Madonna hängt das Bild und zeigt auch den Michlbauer und seine Frau um Gnade betend.

In den folgenden Jahrzehnten lebte es sich ruhig in Neuried. Auch von Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg blieb Neuried weitestgehend verschont. Mayer weiß von zwei solchen Bombardierungen, die mehrere Brände auslösten. "Aber gezielt war da wohl nichts", sagt er, "in Neuried gab es ja nichts zu bombardieren". Das nächste militärische Ziel sei vielleicht die Kiesgrube gewesen, in der Material für den Westwall abgebaut wurde, der an der niederländischen Grenze beginnend bis zur Grenze zur Schweiz führte. Die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs machten sich vor allem nach der Befreiung der Gemeinde am 30. April 1945 durch amerikanische Truppen bemerkbar. 1946 kamen insgesamt etwa 200 Heimatvertriebene aus dem Osten in Neuried an, auf der Suche nach einer neuen Bleibe. "Neuried hatte damals knapp 500 Einwohner - das ist eine ziemliche Veränderung gewesen", erklärt Heinrich Mayer. Zunächst kamen sie teilweise im "Alten Wirt" unter, wo heute das China-Restaurant Fu Wah ist.

Heute findet hier wöchentlich ein Markt statt. (Foto: Catherina Hess)

In den nächsten Jahrzehnten wuchs Neuried stetig, aus dem "Straßendorf" mit ein paar hundert Einwohnern wurde ein Münchner Vorort. Mit der Zeit entstanden immer mehr Wohnsiedlungen, Anfang der 1960er Jahre mit der Karwendel-Siedlung eine der ersten, in der auch Mayer wohnt. Heute leben etwa 8500 Menschen in Neuried. Anfang der 1960er Jahre änderte sich das Ortszentrum noch einmal erheblich. Dort, wo heute der Marktplatz asphaltiert an der Staatsstraße liegt, war bis dahin ein kleiner Dorfteich, der vor allem den Wasservorrat der Feuerwehr sicherstellte. Als der nicht mehr nötig war, legte man den Teich trocken. "Hier hätte man früher schon nasse Füße gehabt", sagt Mayer als er eben da steht und ein Gemälde zeigt, das den Blick auf den Dorfteich und das Haus des Schmiedhansl im Hintergrund zeigt. Es ist wohl um 1960 entstanden, kurz bevor das Wasser aus dem Teich gelassen wurde, hat Mayer recherchiert. Es ist eine von diesen kleinen Geschichten, die Mayer und sein Vorgänger Jakob Reiter über ihr Neuried zusammengetragen haben, die selbst langjährigen Neuriedern einen neuen Blickwinkel auf ihre Gemeinde eröffnet. Wer Heinrich Mayer zuhört, ahnt, dass es wohl nicht die letzte Geschichte sein wird, die er für die Nachwelt bewahrt und weitererzählt, wenn er sein Neurieder Lexikon aufschlägt.

Die Nachbarschaftshilfe Neuried bietet jeden ersten Mittwoch im Monat einen "Ortsspaziergang - Geschichten und Geschichte aus dem alten Neuried" an. Der Rundgang beginnt immer an der Nikolaus-Kirche, Gautinger Straße 9, um 17 Uhr. Am Mittwoch, 8. Mai, findet außerhalb des Turnus der nächste Spaziergang mit Heinrich Mayer statt. Er ist Teil des diesjährigen Festprogramms zum 825. Gemeindegeburtstag, das in der Woche vom Montag, 24. Mai, mit mehreren Konzerten seinen Höhepunkt hat.

© SZ vom 07.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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