Jazz-Kneipen:Applaus für schräge Tone

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Nach stillen Jahren wird Münchens Jazz-Szene langsam wieder lebendig.

Florian Rath

Im Jazzclub Vogler in der Rumfordstraße sieht man an der hinteren Wand ein großes Ölbild hängen. So richtig passt das Gemälde nicht in den Laden mit seinen Wänden aus unverputztem Backstein und der verblichenen Decke, die so aussieht, als hätte man sie bei der letzten Renovierung vergessen. Aber weil es im Vogler sehr dunkel ist und die Bühne für die Musiker in der anderen Ecke liegt, fällt das Werk nicht groß auf.

Die kleinste Jazz-Bühne Münchens: Im Mister B.'s spielen die Bands nicht auf der Bühne, sondern mitten im Lokal. Nicht einmal ein Schlagzeug passt in die Mini-Kneipe. (Foto: Rumpf)

Könnte auch daran liegen, dass das Bild mit einer einzigen Farbe gemalt ist: dunklem Blau. Einem tiefen Ultramarinblau, in das man eintauchen möchte wie in einen tropischen Ozean. Dort endlich ist sie also: Blau, die Farbe der blue notes, der blauen Noten. Blau, die Farbe des Jazz.

Wer sich in München Mitte der Achtziger Jahre auf die Suche nach dieser Farbe begab, der musste lange suchen. Zehn, fünfzehn Jahre vorher glich die Stadt noch einem wahren Meer aus blue notes.

"In den Siebzigern", erzählt der Jazz-Geiger Mic Öchsner, "war es einfach en vogue, sich mit Jazz zu beschäftigen." Damals war die Boom-Phase des Free-Jazz. Studenten und Intellektuelle liebten es, wenn Musiker auf den Bühnen miteinander improvisierten und sich die Noten um die Ohren schlugen.

Vor den gefragtesten Clubs, dem Türkenkeller, dem Allotria oder dem Domicile in der Siegesstraße, waren die Warteschlangen so lang als gäbe es drinnen etwas umsonst.

Musiker von Weltrang traten dort auf. Etliche amerikanische Stars lebten sogar in München. Dann aber kam Jazz aus der Mode. Die weltberühmten Schwabinger Clubs starben reihenweise. Die Leute wollten tanzen, zu Disco und Pop. Die schrägen blue notes wollte keiner mehr hören.

Zeit der Rennaissance

Doch seit einiger Zeit erlebt die Musik aus New York, New Orleans und Nashville eine Renaissance. "Eigentlich unterliegt der Jazz gar keinen Konjunktur-Schwankungen. Er ist ja die Wurzel jeder modernen Musik", sagt Mic Öchsner. "Es gibt da höchstens Dellen."

Im Moment, bestätigt er, zeigt diese Ausbuchtung wieder nach oben. Zu verdanken ist dies vor allem dem Jazzclub Unterfahrt.

Um die Unterfahrt war es zwischenzeitlich auch nicht so gut bestellt. Aber wegen des Einsatzes ehrenamtlicher Unterstützer fand sich der "Verein für Jazz und Malerei" immer wieder schnell auf festem Boden.

Zuletzt mussten die Jazz-Freunde 1997 bangen, als der Laden wegen einer Mieterhöhung sein Domizil in Berg am Laim wegen der hohen Miete aufgab. Seit die Unterfahrt aber in die Einsteinstraße umgezogen ist, geht es bergauf.

Dabei ist der frühere Bierkeller, der zu einem Kulturzentrum umgebaut worden ist, auf den ersten Blick nicht gerade einladend. Wer zum Jazz will, muss erst einmal durch einen unfreundlichen Gewölbe-Gang und mehrere feuerfeste Stahltüren marschieren.

Ein Ambiente, das an ein selbstverwaltetes Jugendzentrum erinnert, in dem die finanzielle Not regiert. Hinter der letzten Türe offenbart sich dann ein liebevoll gestalteter Raum mit verrauchter Club-Atmosphäre.

Klatschen im Keller

An diesem Abend tritt in der Unterfahrt das deutsch-brasilianische Duo Hajo & Lygia auf. Der Laden ist voll, sogar die Tische hinter den gusseisernen Säulen sind trotz schlechter Sicht belegt. Die Küche stößt Pizza im Akkord aus. Hajo & Lygia machen Jazz, der sich aus brasilianischen Samba- und Bossa-Nova-Elementen und orientalischen Klängen zusammensetzt.

Das Publikum ist begeistert. Besonders die Stücke der großen Komponisten Carlos Jobim und Astrud Gilberto, die die Musiker mit viel Verve darbieten, entfachen - was eigentlich untypisch ist für ein Jazz-Konzert - jedesmal rhythmisches Klatschen.

Womöglich ist es das, was diese neue Münchner Jazz-Landschaft so populär macht. Dass sie bricht mit den Traditionen, improvisiert und neben den ausgetretenen Pfaden wandert. Einer, der sich mit Vorliebe neuen Einflüssen öffnet, ist Thomas Vogler vom Jazzclub Vogler.

Der Mann sagt von sich selbst mit einer etwas eitlen Bescheidenheit, er habe keinen Schimmer von Musik. Trotzdem boomt seine Jazz-Kneipe seit der Eröffnung vor fünf Jahren. "Die Kneipe ist mein Wohnzimmer", erklärt der 37-Jährige frühere Journalist.

Deshalb sei er wählerisch bei der Auswahl der Künstler. "Ich entscheide aus dem Bauch heraus. Es spielt, wer mir gefällt. Das mag für manche Musiker schwer nachzuvollziehen sein."

Jazz fürs Tanzpublikum

Für sein Publikum ist es das offenbar nicht: Die Gäste kommen zahlreich. Und sie helfen dem Wirt, wenn er - wie unlängst - Schwierigkeiten mit der Brauerei hat, der der Laden gehört: Als die Spaten-Manager den Mietvertrag kündigen wollten, weil der Jazzclub zu wenig Bier verkaufe, bestellten Voglers Gäste mehr Helles - sie tranken gewissermaßen aus Solidarität.

Die Spaten-Brauerei konnte in der Jazzbar Vogler 118 Prozent mehr Bier absetzen - und das scheinen Töne zu sein, die Münchens Brauereimanager schätzen. Die Kündigung wurde jedenfalls zurückgenommen; Vogler darf bleiben.

Szenenwechsel. Der Nightclub im Hotel Bayerischer Hof ist an diesem Abend noch nicht einmal zu einem Viertel gefüllt, obwohl es feinen Jazz gibt. Ein Amerikaner schindet sein Saxophon. "Am Wochenende haben wir hier ein cooles Tanzpublikum", erklärt eine Dame mit englischen Akzent am Empfang.

Ihre Zuhörer sind unschlüssig. Das ist das Schicksal des Lokals im Bauch des ehrwürdigen Luxus-Hotels: kaum Laufkundschaft. Das Publikum, das sind entweder fachkundige Jazz-Freunde, Hotelgäste oder Menschen, die sich hierher verirrt haben.

Im Nightclub ist alles sehr gediegen, amerikanisch, Service-fixiert. Livrierte Herren gesetzteren Alters nehmen die Bestellungen entgegen. Tiefe Sofas und bequeme Ledersessel stehen auf mehreren Etagen um die Bühne.

Leicht möglich, bei so viel Komfort die Konzentration auf das Wesentliche zu verlieren. Und das trotz musikalischem Weltstar-Aufgebot.

Die Wohnzimmer-Bühne

Die Gefahr einzunicken besteht im Mister. B's nicht. Der Laden in der Herzog-Heinrich-Straße kann von sich behaupten, Münchens kleinster Jazz-Club zu sein. Zwei kleine Tische und eine Eckbank aus Plüsch - mehr Sitzgelegenheiten passen nicht in die Kneipe. Ungemütlich ist das nicht, nur die Musiker müssen manchmal leiden.

Heute spielt ein Trio, die Fingerprints. Normalerweise seien sie ein Quartett, erzählt Pianist Jörg Walser. "Aber unseren Schlagzeuger müssen wir hier immer zuhause lassen." Für sein Instrument ist auf der Bühne einfach kein Platz.

Aber was heißt schon Bühne? Im Schaufenster stehen die Musiker, eingeklemmt zwischen Bar und Eingang, das Fenster zur Straße im Rücken. Mister B., der eigentlich Alex Best heißt, stammt aus New York. Musik, sagt er, habe ihn sein Leben lang begleitet: "This is what I love." Mit der Jazz-Kneipe sei für ihn ein Traum in Erfüllung gegangen.

Inzwischen ist es leise geworden bei Mister B. Die Gäste flüstern, die Band hebt an. Deutlich hört man die Tasten des Saxophons knacken. Der Bass ächzt, das elektrische Piano summt. Dann fährt draußen mit Geheul ein Polizeiauto vorbei. Sein Blaulicht huscht kurz über die Gesichter der Jazzer. Da ist sie wieder, diese Farbe.

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