Jahreszeiten:Gelungene Performance

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Der Herbst führt sich auf wie im Bilderbuch - doch in einem Punkt hinkt er dem Sommer hinterher

Von Wolfgang Görl

Also wer an diesem Herbst noch etwas herumzumeckern hat, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Was für ein seidig-blauer Himmel, was für grandiose Sonnentage, was für ein Farbenfestspiel der Bäume! Es ist, alle hätte der Herbst, namentlich der Münchner Herbst, alle Anstrengungen unternommen, um das, was manche Dichter im Überschwang ihm zuschrieben, nun auch Wirklichkeit werden zu lassen. Eduard Mörike zum Beispiel, der zwar Schwabe war und doch nicht sparsam im Lob der herbstlichen Natur: "Im Nebel ruhet noch die Welt, / noch träumen Wald und Wiesen. / Bald siehst du, wenn der Schleier fällt, / den blauen Himmel unverstellt, / herbstkräftig die gedämpfte Welt / im warmen Golde fließen." Na bitte, so geht es auch: Man muss den Herbst, selbst wenn man ein empfindsamer Poet ist, nicht immer so kritisch sehen, nicht immer den herannahenden Winter und den unvermeidlichen Tod beschwören, nicht über verblühte Rosen klagen wie einst Goethe oder wie Rilke von einsamen und unbehausten Briefeschreibern sprechen. Nein, dieser Herbst ist anders, er ist ein Nachsommer de luxe, so bunt und sonnengetränkt, dass auch die SZ-Fotografinnen und Fotografen, die ansonsten nach Erfüllung ihrer dienstlichen Pflicht gerne die Kamera beiseite legen und sich ein Bier genehmigen oder anderen Lustbarkeiten frönen, gar nicht anders konnten, als die Welt weiter durch die Linse zu betrachten und auf den Auslöser zu drücken. Ob an der Isar, in Haidhausen oder auf der Auer Dult: Überall zeigt sich der Münchner Herbst in einer Pracht, als ginge es darum, dem ebenfalls prächtigen Sommer den Rang abzulaufen. In alten Zeiten, als die CSU noch die absolute Mehrheit hatte, hätte der bayerische Ministerpräsident einen Bilderbuchherbst wie diesen zweifelsohne als die Frucht seines herrschaftlichen Wirkens gefeiert. Heute traut er sich das nicht mehr - und wer, mit Verlaub, würde es Söder und seinen Parteifreunden noch glauben? In diesem Fall gilt, was der Dichter Theodor Storm - okay, ein Nordlicht, aber trotzdem begabt - seinerzeit über den Herbst zu Papier brachte: "Und sind die Blumen abgeblüht, / So brecht der Äpfel goldne Bälle; / Hin ist die Zeit der Schwärmerei, / So schätzt nun endlich das Reelle!" Soviel zur CSU, und was die SPD betrifft, findet sich in Weltuntergangsgedichten. Aber eigentlich möchte man gar nicht wissen, wem dieser goldene Oktober zu verdanken ist. Am Ende ist's der Klimawandel, und dann müsste man ein schlechtes Gewissen haben, im Mittagslicht im Hofgarten zu sitzen und durch das leuchtende Aperol-Spritz-Glas in die Sonne zu blinzeln. Genießen wir also die südlichen Tagen, und ja, auch die bedauernswerten Mitmenschen sollen nicht vergessen sein, die, um dem einst üblichen Münchner Herbstsauwetter zu entgehen, in den Süden geflogen sind, wo sie jetzt bei Sturm und Regenwetter lange Briefe oder kurze Whatsapp-Botschaften schreiben. Bei aller Freude über die rundum gelungene Performance des Herbsts bleibt ein kleiner, aber doch nicht unwesentlicher Wermutstropfen: Die Tage sind zu kurz. Kaum hat man sich nach dem Büro in die Sonne gesetzt, ist sie auch schon weg. Untergegangen. Unerbittlich. Daran muss der Herbst noch arbeiten. Da hinkt er dem Sommer dann doch noch hinterher.

© SZ vom 23.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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