Integration:Wie zwei Welten zusammenwachsen

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Die Schüler Sarah Kretschmer und Achmed Ali führen gemeinsam mit dem Polizisten Nicolo Witte ein Stück zum Thema Suchtprävention auf. (Foto: Jan A. Steiger)

An der Balanstraße teilen sich Schulen mit unterschiedlichem Klientel ein Gebäude - und haben nun zueinander gefunden

Von Jakob Wetzel

Sie lachen miteinander, und schon das ist ein Erfolg. Etwa 140 Schülerinnen und Schüler sitzen hier beisammen; rund die Hälfte von ihnen sind zugewanderte junge Männer, die anderen junge Frauen. Auf der Bühne vor ihnen reichen gerade drei Lehrer und zwei Gäste eine riesige Papiertüte herum und tun so, als würden sie kiffen. Und die Polizei ist auch nicht weit. "Wisst ihr, wie viele Straftaten die gerade begehen?", fragt Kripo-Kommissar Nicolo Witte die Schüler. Die Antwort ist: Jeder mindestens zwei. Doch verhaftet wird hier niemand, es gehört zum Programm.

Es ist Dienstagmittag in der Berufsschule zur Berufsintegration an der Balanstraße in Ramersdorf. Der Polizist Witte gehört zu "Präventuum Mobile"; das Kabarett-Ensemble gegen Sucht und Gewalt ist von zwei städtischen Berufsschulen eingeladen worden. Nicht nur, weil die Schulen die Schüler aufklären und sensibilisieren wollen. Sondern auch, weil sie sich bei ihnen bedanken möchten. Seit zwei Jahren bemühen sich die Schulen, ihre Schüler miteinander in Kontakt zu bringen, damit sie sich kennenlernen. Die Schüler machen mit - und dass sie jetzt einträchtig zusammenhocken, ist nicht selbstverständlich.

Es habe vorher Konflikte gegeben, erklärt Eric Fincks, der Leiter der Berufsschule zur Berufsintegration. Denn an der Balanstraße prallen zwei Schülerwelten aufeinander. Da ist zum einen Fincks' Schule: Sie besuchen mehrheitlich junge Männer aus dem Ausland, viele der etwa 800 Schüler sind Flüchtlinge. An der Balanstraße bereiten sie sich zwei Jahre lang auf eine Berufsausbildung vor, lernen Deutsch - und sorgen sich um ihre Zukunft. Erst in den Sommerferien ist ein Schüler abgeschoben worden. Und wenn die Bleibeperspektiven schlecht sind, kommt es vor, das Schüler einfach verschwinden.

Das Schulhaus an der Balanstraße teilen sich diese Schüler mit etwas mehr als 300 Azubis in der städtischen Berufsschule für Zahntechnik, Chemie-, Biologie- und Drogerieberufe, und zwar mit den Drogerieklassen. Hier sitzen fast ausschließlich junge Frauen; die Quote liege bei 98 Prozent, sagt Schulleiterin Waltraud Heimrath. Die meisten von ihnen stammen aus kleineren Städten oder ländlichen Gegenden. Und der erste Kontakt zwischen den Schülergruppen war schwierig.

Die Schulleiter sprechen von Missverständnissen. Ein Schüler der Berufsschule zur Berufsintegration etwa ist einmal statt auf die Herrentoilette auf die für Damen gegangen. "Das gab erst ein Riesengeschrei", sagt Fincks. "Dann haben wir kapiert: Der hat das gar nicht böse gemeint." Er konnte kein Deutsch und hatte den Schriftzug an der Tür nicht verstanden; jetzt gibt es an der Schule Piktogramme. Die Rede ist aber auch von Streit und von einem missglückten Annäherungsversuch eines Schülers beim Einkaufen. "Der musste lernen, dass man manches zu einer Frau nicht sagen kann", sagt Fincks.

Es sind kleine Vorfälle gewesen, aber sie sprachen sich herum, und sie reichten aus, die Klassen gingen auf Konfrontation. Das ist jetzt zwei Jahre her; die damaligen Schüler haben die Berufsschulen zum großen Teil schon wieder verlassen. Doch damals beschlossen die Schulen, gegenzusteuern. "Wir wollten Begegnungen schaffen, damit die Probleme gar nicht erst entstehen", sagt Fincks. Die Schüler sollten Vorurteile ablegen, miteinander ins Gespräch kommen und merken, dass sie trotz aller Unterschiede ähnliche Interessen und Probleme haben - und sei es nur, dass sie fast alle neu in München sind.

Die erste Idee nannten die beiden Berufsschulen "Inteegration" mit zwei e. An einem Projekttag hätten die künftigen Drogistinnen eine Teemischung hergestellt, "das passte auch gut in den Lehrplan", sagt Heimrath. Die Schüler aus den Berufsintegrationsklassen stellten im Gegenzug Tee-Traditionen aus ihrer Heimat vor. Das habe alles gut geklappt, es sei sehr harmonisch gewesen, sagt die Schulleiterin - obwohl es anfangs Widerstände gab. In den Drogerieklassen wollten einige Schülerinnen nicht mitmachen, bis die Lehrer sie bei ihrer Professionalität packten: Im Beruf könnten sie sich auch nicht aussuchen, mit welchen Kunden sie arbeiten wollen und mit welchen nicht. Die Schülerinnen gaben nach - und die Rückmeldungen aus den Klassen sei danach sehr gut gewesen. "Das war wie ein Ritterschlag", sagt Fincks.

Im folgenden Schuljahr legten die Schulen nach: An einem zweiten Projekttag stellten sich die Schüler gegenseitig vor, brachten sich Zungenbrecher aus ihren Muttersprachen bei, unterhielten sich und spielten zum Beispiel gemeinsam Karten. Das Gegeneinander von einst sei zum Miteinander geworden, sagt Fincks. In den nächsten Monaten und Jahren sind weitere Projekte geplant, die Ideen reichen von Initiativen zur Müllvermeidung bis hin zu einem "Planspiel Asyl", das Fincks' Schule gemeinsam mit dem städtischen Adolf-Weber-Gymnasium ausgearbeitet hat. Dabei können Deutsche am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, wenn sie in ein fremdes Land und ein fremdes System geraten, das sie nicht verstehen: von dem Moment, an dem sie von der Polizei aufgegriffen werden, über die Ankunft in der beengten Unterkunft bis zum Behördengang.

Und vielleicht funktioniere das Miteinander ja auch so gut, dass einzelne Schüler aus den Berufsintegrationsklassen in die Drogistenklassen wechseln, sagt Waltraud Heimrath. Zwei Schüler hätten das schon getan - und Personal mit Migrationshintergrund sei in Drogerieberufen gefragt, besonders dann, wenn die Firmen internationale Kunden haben. "Unsere Schüler sind überhaupt sehr gute Azubis", sagt Fincks. Sie hätten Lebenserfahrung, schlügen sich unter schwierigen Bedingungen durch und hausten in furchtbaren Verhältnissen. "Und sie kommen trotzdem pünktlich zur Schule."

© SZ vom 19.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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