Integration:Flüchtlingsführer

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Der Alte Peter ist eine Station auf der Tour mit den Flüchtlingen. (Foto: Robert Haas)

Schüler des Wilhelmsgymnasiums zeigen jungen Migranten, die noch nicht lange in München leben, die Stadt. Auf den Rundgängen geht es um Schweinefleisch und Fußball, aber auch um Armut, Krieg und Traurigkeit

Von Melanie Staudinger

Nein, kaufen könnte sie hier wohl nichts, sagt Mayla und blickt auf die fleischigen Auslagen der Metzgereien am Viktualienmarkt. Schweinebraten, liest das Mädchen mit dem Kopftuch. Leberkäs, Weißwurst, Presssack. "Überall Schweinefleisch drin." Neben ihr steht Elli, einen guten Kopf größer. "Ach, hier gibt es auch Hühnchen, Lamm und Rind", sagt die Oberstufenschülerin. Nur dass diese Tiere in der bayerischen Küche eben eine untergeordnete Rolle spielen. Die Achtklässlerin Mayla nickt zufrieden und hängt sich vertraut bei Elli ein.

Bis vor eineinhalb Stunden waren sich die Mädchen völlig fremd. Jetzt aber führen Elli und ihre Klassenkameraden vom Wilhelmsgymnasium Mayla und ihre Mitschüler von der Mittelschule durch die Innenstadt. Die Veranstaltung "Youth Connect - Integration durch Interaktion" soll einen Austausch befördern, ein Kennenlernen von verschiedenen Welten. Es ist ein Projekt von Jugendlichen für Jugendliche.

In ihrem alltäglichen Leben wären sich Mayla und Elli wohl nie über den Weg gelaufen. Mayla, die in Wirklichkeit anders heißt, kam erst vor gut einem Jahr mit ihren Eltern von Syrien nach München. Der Krieg, die Flucht, das hat das Mädchen geprägt. Jetzt versucht sie, mit ihrer Familie ein neues Leben zu beginnen, weit weg von Angst und Verfolgung, aber eben auch in einem Land, dessen Sprache und Kultur Mayla erst einmal kennenlernen muss. Viele ihrer Klassenkameraden haben ähnliche Erfahrungen gemacht - die junge Syrerin besucht die sogenannte Ü 8 der Mittelschule an der Alfonsstraße in Neuhausen, eine Übergangsklasse für Jugendliche, die neu in Deutschland sind. Mit ihr zusammen lernen Schüler aus Irak, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Serbien oder Brasilien so lange Deutsch, bis sie in einer regulären Klasse mitkommen.

Elli und ihre Mitschüler hingegen pauken freiwillig Griechisch und Latein. Sie gehen aufs Wilhelmsgymnasium im Lehel. Das älteste Gymnasium Münchens verbindet Tradition und Moderne, bietet einen humanistischen Zweig ebenso wie Rudern und Philosophie als Wahlfächer. Die Schüler schreiben regelmäßig die besten Abiturnoten in der Stadt, Kultusminister Ludwig Spaenle sitzt im Verwaltungsrat des schuleigenen Fördervereins. Das Wilhelmsgymnasium ist keine Schule wie jede andere, die Schüler sind sich ihrer privilegierten Position bewusst.

"Die Idee für unser Projekt entstand vor eineinhalb Jahren", sagt Ralph Löhrer. Schon damals seien viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, nur eben abseits des öffentlichen Fokus. "Wir wollten helfen und haben uns überlegt, was jeder Einzelne tun könnte, um seinen Beitrag zur Integration zu leisten", erklärt Tim Schellhammer. Die Jugendlichen überlegten, was Neuankömmlinge brauchen könnten. Und dachten sich dann: Warum zeigen wir Gleichaltrigen nicht die Stadt? Während einer Führung könnten diese nicht nur die Sehenswürdigkeiten wie den Alten Peter, das Isartor oder das Rathaus kennenlernen, sondern auch Dinge aus dem konkreten Alltag erfahren, etwa warum Menschen am Viktualienmarkt einkaufen, wie man eine Straßenbahn benutzt oder wieso die Bayern ihr Schweinefleisch eigentlich so lieben.

Die Organisatoren besuchen alle die neunte bis elfte Klasse. Die Stadtführungen konzipierten sie nebenbei. "Wir haben Mittelschüler interviewt, um herauszufinden, was genau sie interessiert und welches Sprachniveau sie haben", sagt Maike Löhrer. Die Gymnasiasten übten, so zu sprechen, dass jemand, der im zweiten Jahr Deutsch lernt, ihnen ohne Probleme folgen kann. Kurze Sätze, einfacher Satzbau, keine Fremdwörter. Zur Unterstützung haben sie Bilder dabei, sie wollen mit den Teilnehmern ins Gespräch kommen und ihnen keine Vorträge halten.

Das klappt bei der Führung an diesem Mittwoch schon ganz gut. Bereits in der Straßenbahn unterhalten sich die Jugendlichen. Über Kinos in München zum Beispiel, Musik oder Fußball. Manchmal aber kommen auch ernste Themen auf: Armut zum Beispiel, Krieg, Traurigkeit. "Auch wir haben sehr viel gelernt bei unserem Projekt", sagt Schellhammer. Etwa die Erkenntnis, dass Fremdes sich ergänzen kann, dass Flüchtlinge und Migranten trotz ihres Schicksals eine enorme Lebensfreude in sich tragen, dass man einfach Spaß mit ihnen haben kann, auch wenn Sprachbarrieren existieren.

Die Landeszentrale für politische Bildung und die Architektenkammer unterstützen die Schüler vom Wilhelmsgymnasium. Wenn sich "Youth Connect" hier bewährt, soll ein solches Angebot auch an anderen bayerischen Schulen stattfinden. Noch allerdings stehen die Münchner Jugendlichen ganz am Anfang. Die Führung nun ist ein erster Test gewesen. Im April kommenden Jahres sollen die regulären Veranstaltungen beginnen. Dann auch mit einem bayerisch-internationalen Picknick im Englischen Garten: "Dazu muss das Wetter aber wieder schöner werden", sagt Ralph Löhrer. Brezn und Obazda jedenfalls können alle essen, egal welcher Religion sie angehören.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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