Installation:Allein mit der Kunst

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Zwei Stunden in der Rauminstallation "Shelter" von Lars Koepsel

Von Evelyn Vogel, München

Was ist das nun tatsächlich? Ein Schutz- und Rückzugsort, eine Zuflucht und ein Obdach wie der Titel "Shelter" besagt? Eine Ausstellung unter Pandemiebedingungen? Ein Perspektivenwechsel? Eine Pause im Alltag? Irgendwie ist "Shelter" im Apartment der Kunst von Lars Koepsel all dies - und nichts davon ganz. Mikroveranstaltung nennt der Künstler das Angebot. Doch so ganz Mikro ist es nicht. Im Gegenteil. Folgt man all den Spuren, die Koepsel in der Rauminstallation und den ausgestellten Objekten gelegt hat, baut sich nach und nach eine Makrowelt voller persönlicher, philosophischer, literarischer und geografischer Bezüge auf.

Am Anfang steht der Durchgang durch ein Tor in einen Hinterhof, in den man sich vorsichtig hineintastet, weil sich sofort das Gefühl einer fremden Privatheit einstellt, auch wenn kein "Betreten verboten"- Schild die Besucher aufhält. Neugierig nähert man sich dem Flachbau mit den bodentiefen Fenstern, aus denen an diesem spätwinterlichen Nachmittag warmes Licht leuchtet. Sie sind das Begrüßungskomitee. Der Künstler? Der Galerist? Nicht sichtbar. Aber das war auch so angekündigt, nachdem man per Mail um einen Besuchstermin gebeten und Tag sowie Uhrzeit zugewiesen bekommen hatte. "Bitte seien Sie nach Möglichkeit pünktlich. Ich werde ca. 10 Minuten vor Ihrer Ankunft um 17.15 Uhr das Apartment verlassen und ca. 10 Minuten, nachdem Sie um 19.15 Uhr gegangen sind, wieder kommen, sodass wir uns nicht begegnen werden", stand in der Bestätigungsmail. Alles weitere erkläre ein Empfangsschreiben, das sich später im Raum finde.

"Shelter" ist der Versuch eines Künstlers, im Kultur-Shutdown verantwortlich zu handeln und trotzdem im Rahmen der Möglichkeiten zu agieren. Eine kontaktlose Ausstellungspräsentation, die neugierig macht auf das Werk des 1964 in Bingen geborenen, in München lebenden Künstlers, der Kunstgeschichte und Philosophie studiert hat und ausgebildeter Vergolder und Kirchenmaler ist. Als beinahe "mönchisch" beschrieb der Kunsttheoretiker und -kritiker Heinz Schütz Koepsels Kopistentätigkeit, die Grundlage vieler seiner Arbeiten ist.

Also tasten wir uns weiter hinein. Nach der Eingangstür liegt ein Gästebuch - ein Zeichen der Kommunikation - neben Desinfektionsmittel - unter Pandemiebedingungen. Wie hieß es doch gleich in der Ankündigung? "Das Apartment der Kunst heißt sie willkommen, gelüftet, geheizt und desinfiziert. Niemand ist hier, sie sind ganz allein." Wobei es jedem Besucher frei steht, eine weitere Person mitzubringen. Dem Eingang gegenüber liegt der Arbeitsbereich von Koepsel. Er wirkt wie eine Klause, die später erkundet werden will.

Für "Shelter" hat Koepsel aus dem Hauptraum ähnlich wie in früheren Arbeiten ein Gesamtkunstwerk gemacht. Die raumfüllende Schriftarbeit an den Wänden ist Konzeptkunst im besten Sinne. Die Bilder sind vielschichtige Schriftwerke, auf denen Worte zu Ornamenten und grafischen Bildern verschmelzen. Die Globen sind gespickt von sich überlagernden Zitaten und Schriften von Shakespeare, Hannah Arendt und anderen. Es sind Themen, die sich mit existenziellen Fragen des Lebens beschäftigen, in der Überlagerung aber so undurchdringlich wirken wie die letzten Geheimnisse des Lebens.

Ein Tisch mit Getränken sowie zwei Sessel im Retrodesign laden ein. Man darf sich bedienen. Muss es aber nicht. Frisch gewaschene Baumwollhandschuhe liegen bereit, um hygienisch korrekt anzufassen, was man anfassen mag. Um zu blättern (in Büchern und einer Begrüßungsmappe mit Texten und Abbildungen, die man mitnehmen darf) und um zu erkunden (mehrere Globen, die über und über mit Schrift bedeckt sind). Bis zu zwei Stunden dürfen sich die Besucher in das Apartment zurückziehen und dort Zeit verbringen - mit der Kunst und dem Ort, mit sich und ihren Gedanken. Am Ende wird es mehr eine gedankliche Reise ins eigene Ich, denn ein Ausstellungsbesuch. Eine durchaus interessante Erfahrung.

Shelter , Apartment der Kunst, Schönfeldstraße 19/RGB, bis zum 21. März, Anmeldung unter apartmentderkunst@gmail.com

© SZ vom 23.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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