Industriespionage:"Zeuge vom Hörensagen"

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Oberlandesgericht entscheidet über Schutz von Whistleblowern

Von Stephan Handel, München

"Hier haben wir ein Rechtsproblem", sagt der Vorsitzende Richter, und das könnte der Auftakt zu Stunden der Langeweile sein, obwohl es vor dem 29. Senat des Oberlandesgerichts (OLG) um mehr als vier Millionen Euro geht. Es wird aber nicht langweilig, sondern eine Lehrstunde darüber, warum sich die Justiz so schwer tut mit jenen Hinausposaunern, die international Whistleblower genannt werden.

Vordergründig geht es um den Vorwurf der Industriespionage: Eine Medizingeräte-Firma aus Forstinning hat Bauteile für Blutdruck-Messgeräte über fünf Jahre von einem Unternehmen aus Slowenien bezogen. 2010 kündigte das Münchner Unternehmen den Liefervertrag und stellte das Bauteil selbst her. Nun sagt der Zulieferer, er sei von den Münchnern ausspioniert worden. Daraus ergebe sich eine Vielzahl von Ansprüchen: Unterlassung, Auskunft, Schadenersatz.

Eine Münchner Kanzlei griff zu einem Trick

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung wird nun vor dem OLG verhandelt. Und wie in erster Instanz geht es vor allem um den Beweiswert von Zeugenaussagen - und darum, wie ein Kläger seine Belastungszeugen schützen soll, wenn die ihre Identität nicht preisgeben wollen. Die Slowenen hatten zwei Mitarbeiter ihres einstigen Geschäftspartners ausfindig gemacht. Diese hätten angeblich die behauptete Spionage belegen können, wollten aber anonym bleiben.

Eine Münchner Anwaltskanzlei griff deshalb zu einem Trick: Die Whistleblower wurden in Berlin von einem dort ansässigen Anwalt befragt, einmal sogar in Anwesenheit eines Technik-Experten, der bei geöffneter Tür im Nebenzimmer saß, so dass er die Zeugen zwar nicht sehen, aber mithören konnte. Vor dem Landgericht sagte dieser Berliner Rechtsanwalt dann als "Zeuge vom Hörensagen" aus - also als einer, der nur berichtete, was ihm die eigentlichen Zeugen erzählt hatten.

Dem Landgericht reichte das aber nicht. Auch wenn der Anwalt korrekt wiedergebe, was ihm die Zeugen gesagt haben, könne das Gericht nicht beurteilen, wie glaubwürdig die Aussagen seien. Das Gericht müsse sich einen eigenen Eindruck machen können. Es war einer der Hauptgründe für die Ablehnung der Klage in erster Instanz.

Für die Berufung war nun einer der beiden Zeugen doch bereit, persönlich auszusagen. Doch hier entstand das Rechtsproblem, von dem Andreas Müller, der Richter, sprach: Im Sinne der Zivilprozessordnung ist der Zeuge nämlich ein "neues Angriffs- und Verteidigungsmittel". Und ein solches darf nicht eingeführt werden, wenn es in erster Instanz aus Nachlässigkeit nicht angeboten wurde.

Hätten die Klägerin und ihre Anwälte den Zeugen also schon in erster Instanz benennen müssen? Die Anwälte berufen sich auf ihre Schweigepflicht. Sie ließen sich sogar von der renommierten Kanzlei Roxin beraten, die zu dem Ergebnis kam, sie würden sich strafbar machen, würden sie die Anonymität aufheben. Die Anwälte der Münchner - die die Spionage natürlich bestreiten - sagen hingegen, der Zeueg hätte benannt werden können, weil sowieso nur ein Mitarbeiter in Betracht gekommen sei, es also gar keine Anonymität gegeben habe. Den Klägern sei daher Nachlässigkeit vorzuwerfen und der neue Zeuge nicht zulässig. Darauf wird es ankommen, machte Richter Müller klar: Lässt der Senat den Zeugen zu, sieht es gut aus für die slowenische Firma. Die Entscheidung will der Senat am 14. Dezember verkünden.

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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