Hostel an der Theresienwiese:Vom Dr. Jekyll zum Mr. Hyde

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Party-Stimmung, pöbelnde Gäste und verstopfte Toiletten: Zur Wiesnzeit geht es im Hostel "Easy Palace" in der Mozartstraße zu wie im wildesten Bierzelt.

Lara Doktor

In der Eingangshalle sind Bierbänke mit weiß-blauen Tischdecken aufgestellt. Von der Decke baumelt ein geschmückter Kranz aus Tannenzweigen. Hinter dem Rezeptionstresen hängen dutzende Lebkuchenherzen, über dem Ventilator steckt ein Tirolerhut.

Das Easy-Palace ist bis in kleinste Detail auf Wiesn-Look gestrimmt: Selbst der Ventilator bekommt einen Tirolerhut aufgesetzt. (Foto: Foto: Lara Doktor)

Ungefähr 20 Gäste versammeln sich in der Eingangshalle, um gemeinsam zur Wiesn zu gehen. Die meisten sind männlich, zwischen 19 und 40 Jahre alt, manche tragen Lederhosen. Von allen Ecken der Welt reisen sie an: Großbritannien, Australien oder Skandinavien. Sie setzen sich auf die Bierbänke und das Sofa in der Ecke oder lehnen sich an den Billardtisch. Manche haben eine Flasche Bier in der Hand.

Ingrid Selzer ist die stellverstretende Geschäftsführerin vom Hostel. Sie mag die entspannte und lustige Atmosphäre, die während der Wiesnzeit im Hostel herrscht. "Alle sind aus einem einzigen Grund hier", sagt Ingrid Selzer, "um zum Oktoberfest zu gehen und hier Spaß zu haben." Das Easy-Palace Hostel liegt dafür strategisch günstig: von der Mozartstraße aus sind es nur drei Minuten zur Wiesn.

Ludwig Bergmann ist Azubi im Easy Palace und steht heute hinter der Rezeption. Er trägt ein T-Shirt über dem Longsleeve, hat kurze schwarze Haare, an den Ohren funkeln quadratische Ohrstecker. Er checkt die Gäste ein und aus, verkauft Telefonkarten und Alkohol. Mit den meisten spricht er englisch. Manchmal feiert er mit den Gästen bei der Afterwiesn-Party und geht mit ihnen aufs Oktoberfest.

"Lieber Zwei- oder Vierbettzimmer?", fragt er den deutschen Gast auf der anderen Seite des Tresens, der schon leicht nach Alkohol müffelt. "Das ist mir scheißegal", raunt dieser, "Hauptsache eins!".

Der Azubi bleibt cool. Die Mitarbeiter des Hostels wissen mit den alkoholisierten Gästen umzugehen - es gehört zum Job dazu. Bier umgeschüttet? Abfluss verstopft, weil ein Gast die Toilette mit Klopapierrollen verstopft hat? Nicht ärgern, einfach weitermachen. Abends feiern die Hostel-Mitarbeiter trotzdem mit den Gästen auf der Wiesn.

Gäste vergessen eigenen Namen

Die ein oder andere Maß zuviel kann Menschen in ihrer Persönlichkeit komplett verändern, sagt Bergmann. "Gäste, die vorher noch höflich waren, kommen von einem Tag im Bierzelt zurück und sind plötzlich unfreundlich oder pöbeln rum." So wie in der Novelle vom braven Dr. Jekyll, der sich durch einen Trank zum gewalttätigen Mr. Hyde verwandelt.

Für solche Fälle hat das Hostel abends einen Türsteher engagiert, der unangenehme Gäste rausschmeißt. Dass passiert aber sehr selten. Schließlich reagieren die Angestellten auf die Gäste verständnisvoll. "Die machen es ja nicht absichtlich", weiß Ingrid Selzer, "die können sich am nächsten Tag gar nicht daran erinnern, was sie am Abend vorher gemacht haben".

Einmal hat eine Frau am Abend vorher den Feueralarm ausgelöst und sich am nächsten Tag an nichts mehr erinnern können. Erst als sie das Beweisvideo von der Überwachungskamera sah, konnte sie glauben, was man ihr sagte.

Die Gäste vergessen so manches, wenn sie nach einem durchzechten Tag vom Oktoberfest wiederkommen. Manche wissen nicht einmal mehr ihren Namen, geschweige denn ihre Zimmernummer. Dass sie das Hostel gefunden haben, verdanken sie den neonpinkfarbenen Armbändchen, die alle Gäste tragen müssen.

Eigentlich sollten die Armbändchen nur dazu dienen, Gäste von Nichtgästen bei der allabendlichen Afterwiesn-Party zu unterscheiden. Aber dank der integrierten Adresse konnten die Taxifahrer Münchens schon so manchen Hostel-Gast nach Hause bringen.

"Two beer please!", ordert ein Gast an der Rezeption. Bergmann dreht sich um zum Kühlschrank, holt zwei Flaschen heraus. Normalerweise verkauft er ungefähr 20 Flaschen Bier pro Schicht. Während der Wiesn sind es 50.

Keine Kraft mehr für Kultur

Während das Backpacker-Publikum im Easy-Palace normalweise sehr kulturinteressiert ist und sich die Pinakothek der Moderne oder die Gedenkstätte in Dachau anschaut, haben die Gäste zur Wiesnzeit vor allem eins im Kopf: die Wiesnzelte. Wer soviel feiert, hat für andere Aktivitäten keine Kraft mehr. Die wenigsten Gäste schauen sich die Stadt an.

Sören aus Dänemark hat immerhin schon über die Grenzen der Theresienwiese hinaus München erkundet: Er war im Hofbräuhaus! Sören ist zum dritten Mal zum Oktoberfest gekommen. "Es ist eine große Party mit toller Stimmung", lobt er das Oktoberfest. Er ist mit neun Freunden angereist, Frauen sind nicht erlaubt. Sie haben alle ein Interesse: Bier. Da würden Frauen nur stören.

Mark aus Irland ist auch kein Neuling auf dem Oktoberfest. Er ist schon zum zweiten Mal hier. "I love the german girls in their dresses!", er formt seine Hände zu Halbkugeln und hält sie auf Höhe seines Brustkorbes.

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