Höher, schneller, weiter:Riesenspaß und große Quälerei

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Wenn Tibor Simai aufs Rad steigt, verbinden sich Coolness und Hochleistung. Das sollte Schule machen

Von Anna Hoben

Die Zukunft soll dem Spaß gehören. Sein ganzes Leben lang hat Tibor Simai sich gequält, um zur Spitze zu gehören. Jahrzehntelang hat er sich zu immer noch besseren Leistungen angespornt, zu schnelleren Zeiten, höheren Sprüngen, waghalsigeren Figuren. Was zählte, war der Wettkampf. Der Münchner hat sich seinen Ruf hart erarbeitet, den Ruf, einer der vielseitigsten BMX- und Mountainbike-Athleten zu sein. Jetzt ist Simai 44 Jahre alt, knapp 19 000 Likes hat seine Seite auf Facebook, 3000 mehr als die von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), und von nun an will er wieder Sport machen, wie und wann er Lust hat. Er lebt zwar immer noch für den Sport, aber nicht mehr ausschließlich vom Sport. Seit einem Jahr hat er einen Job, in der Bikebranche zwar - bei einem Entwickler von ergonomischem Radzubehör - aber es ist ein Job, mit zweieinhalb Bürotagen.

Als Zehnjähriger sah Tibor Simai den Film E.T. im Kino. Er verliebte sich Hals über Kopf: in das BMX-Rad, das da eine Rolle spielte. Ein Leben ohne Rad ergab für ihn von da an keinen Sinn mehr. Bald fuhr er Rennen in ganz Deutschland. Mit 17 legte er das BMX zur Seite und machte nur noch Kraftsport, sonst nichts. Doch ihm fehlte die Action, "ich war Radfahrer". Mitte der Neunzigerjahre fing er wieder an, ein Kumpel zog ihn mit, es gab plötzlich eine BMX-Bundesliga, sogar Preisgeld, wenige Jahre zuvor undenkbar.

Wenn Simai an die Zehnjährigen im München der Zukunft denkt, dann wünscht er sich drei Dinge. Erstens, dass der Sportunterricht in der Schule eine viel größere Rolle spielt als heute. Zweitens, dass der Coolnessfaktor dieses Sportunterrichts sich verdreifacht. "Die Kinder gucken sich auf Youtube Videos des Radathleten Danny MacAskill an, und in der Schule sollen sie sich mit Hochsprung und Weitsprung zufriedengeben." Warum, gibt Simai zu bedenken, fragt man nicht öfter mal die Kinder, was sie sich wünschen? Warum gibt es keine Hallen voll mit Trampolins? Warum keine Pumptracks, spezielle Bike-Parcours? Man könnte antworten: Weil das alles ziemlich viel Geld kostet. "Ja", sagt Simai, "aber unfitte Rentner kosten am Ende viel mehr".

Er wünscht sich, drittens, dass sich auch im Schulsport nicht alles um Leistung dreht. Hochsprung, Tabelle, Note, davon hält er nicht so viel. Da ist es wieder, das S-Wort: Spaß soll es machen. Es ist natürlich paradox, wenn gerade er das sagt, der da ist, wo er ist, weil er immer mehr leisten wollte als andere. Andererseits: Der Mann weiß, wovon er spricht.

Welche Trendsportarten es im Jahr 2050 geben könnte? Solche Fragen interessieren ihn gar nicht so sehr. Klar, immer extremer wird alles, beim Radfahren wie beim Skifahren. Kommenden März will der Unternehmer-Tausendsassa Jochen Schweizer in Taufkirchen eine Arena eröffnen, in der man surfen, klettern und in einem Windkanal fliegen kann. Bewegung als Event, ohne in ferne Länder zu reisen, buchbar als praktisches Paket mit Übernachtung. Aber viel interessanter sind doch jene Dinge, die mehr Menschen dazu bringen, sich sportlich zu betätigen. E-Bikes zum Beispiel, die findet Simai super, anders als manche Radfahrerkollegen. "Man hat den dreifachen Spaß. Da fährt man auf einem Trail dann eben nicht zehn Stundenkilometer, sondern 15 bis 20." Eine Zukunft ohne E-Bikes kann er sich in München nicht denken; bei deren Konstruktion und Leistung werde sich viel tun in den nächsten Jahren, prophezeit der Profi.

Die Zukunft des Sports, ein unendlicher Spaß? Ein weiterer Aspekt wird daneben künftig immer wichtiger: die Gesundheit. Sagt auch Jörg Aneser. Der 46-Jährige ist Geschäftsführer des Fitnessstudios Sports & Health in Sendling, 2000 Quadratmeter, die man getrost als Gesundheits- und Wellnesspalast beschreiben kann. Über einen Bildschirm hinterm Empfangstresen flimmert Werbung für einen Kurs zu Clean Eating, einem neuen Ernährungstrend, bei dem es darum geht, möglichst natürlich zu essen und auf industriell hergestellte Lebensmittel zu verzichten. Eigentlich eine ziemlich normale Sache, könnte man meinen - aber im Fitnesszeitalter lässt sich alles vermarkten. Alle Laufbänder sind mit Flatscreen und diversen Anschlüssen für ausgestattet, Kunden können zwischen 33 Fernsehprogrammen wählen, darunter Sky. Oben entspannt gerade jemand in der Sauna; das neue Yogastudio im obersten Stockwerk liegt am frühen Nachmittag noch verlassen da.

Als Aneser im Jahr 1993 zur Bank ging, um einen Kredit zu beantragen, weil er in Starnberg ein Fitnessstudio eröffnen wollte, sagte der Berater: "Was wollen Sie?" Dann faselte er irgendetwas von Videotheken. Kurz: Er hatte keinen blassen Schimmer, worum es ging. In den Jahren darauf legte die Fitnessbranche einen rasanten Aufstieg hin, und noch immer geht es steil nach oben. Heute macht die Branche in Deutschland fast fünf Milliarden Euro Umsatz im Jahr. 9,5 Millionen Menschen sind Mitglied in einem Fitnessstudio. Der Deutsche Fußball-Bund hat 6,9 Millionen Mitglieder.

Vor 13 Jahren zog Aneser mit seinem Unternehmen von Starnberg nach München. Einen besseren Standort als die bayerische Landeshauptstadt könnte er sich kaum wünschen. "Das Großstadtpublikum ist offen für neue Geräte, neue Trends, neue Kurse", sagt er. Die Leute seien entspannter als das Publikum im Umland, vor allem aber: zahlungskräftig - und bereit, für Sport und Gesundheit viel Geld auszugeben. "Ob die Mitgliedschaft im Monat 80, 90 oder 100 Euro kostet, ist für viele zweitrangig."

In Zukunft, prophezeit Aneser, werden die Münchner auch in höherem Alter immer sportlicher unterwegs sein. Schon heute hat er drei 90-Jährige in seiner Kartei, die auch regelmäßig zum Training kommen. Früher gingen Männer ins Studio, weil sie einen dicken Bizeps wollten. Das Fitnessstudio war ein Ort, von dem Otto Normalsportler sich fernhielt. Heute ist die Hemmschwelle viel niedriger, und sie wird wohl weiter sinken. Frauen machen unter Anesers Kunden heute 60 Prozent aus. Während es früher im Studio nur um Kraftsport ging, steht heute Kardiotraining im Vordergrund. "Die Menschen wollen gesund bleiben, und das immer länger." Gesundheit, für Jörg Aneser ist sie das Produkt, das er verkauft.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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