Historische Radl-Tour:Spurensuche am Stadtrand

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Der Verein Nordostkultur unternimmt auf der alten Güterbahn-Strecke von Unterföhring bis nach Feldkirchen eine Tour in die Vergangenheit. Ob dort zu Kriegszeiten wirklich Waggons rollten, bleibt ein Geheimnis

Von Ulrike Schuster, München

Merke: In Sommersandalen sollte man sich nicht auf Spurensuche machen. Besonders dann nicht, wenn es 80 Jahre zurück in die Vergangenheit geht, zu Bahnschienen aus der Nazi-Zeit. "Deutschland wäre ohne Eisenbahn nix", sagt Roland Krack, 67, Ex-Kriminalbeamter und wegweisender Detektiv. Der Vorsitzende des Vereins Nordostkultur hat zur Radltour eingeladen, um ein neues Stück Bogenhauser Heimat zu erkunden.

Elf Vereinsfreunde stehen um 11 Uhr mit Trekkingrädern, Helmen und Satteltaschen an der S-Bahn in Johanneskirchen. Sie wollen die alte Güterbahn-Strecke von Unterföhring bis nach Feldkirchen entdecken. Eine eingleisige Strecke, acht Kilometer lang, auf der während der letzten Kriegsjahre wichtige Güter über den Münchner Norden am bombengefährdeten München vorbei transportiert werden sollten. Die sogenannte Feldkirchner Tangente. "Ob die Waggons je gerollt sind, weiß man aber nicht", sagt Krack. Sicher ist: Mitte der Dreißigerjahre wurde die Strecke geplant, Ende der Dreißigerjahre gebaut. Von 1940 bis zur Zerstörung durch die Amerikaner könnte sie in Betrieb gewesen sein, aber: "Das bleibt ein Geheimnis." Nach Kriegsende wurden die Gleise jedenfalls abgebaut.

Das erste Zeugnis des Bahndamms zeigt sich nach der Unterführung am Gleißachweg in Unterföhring. Über einen schmalen Feldweg mit geschätzt acht Grad Steigung geht es hinauf, Krack lüftet hinter dichtem Geäst eine zirka ein Meter hohe Erdscholle - darunter verbergen sich quer übereinander gestapelte Blöcke, die einst die Eisenbahngleise getragen haben sollen. Maria von Egidy pirscht sich bei jedem Halt nach vorne zu Roland Krack, sie will keine Erklärung verpassen. Der emsigen 73-Jährigen aus Denning sind am Weg zum Feringasee schon oft große schwarze Schottersteine aus dem Gleisbett aufgefallen: "Bis jetzt konnte ich das nicht einordnen." Schließlich müsse man über seine Heimat Bescheid wissen. Seit 1960 lebt von Egidy in Bogenhausen.

Das nächste Steilstück führt über einen verästelten Schotterweg zur Brücke über den Hüllgraben. Immer wieder müssen die Radler Sträuchern und Stauden ausweichen - eine Tour für hartgesottene, leidenschaftliche Heimatkundler. "Wir blicken über das städtebauliche Entwicklungsgebiet, für das bald erste Planvorschläge vorgelegt werden sollen", sagt Krack. Der Bahndamm bilde die Grenze zwischen Naturschutzgebiet im Norden und Siedlungsgebiet im Süden. Zwischen Daglfing und Johanneskirchen sollen in den nächsten Jahren Wohnraum und Arbeitsplätze für rund 36 000 Menschen entstehen. Nach aktueller Schätzung wird Münchens Bevölkerung bis 2030 um knapp 15 Prozent auf dann 1,7 Millionen Einwohner anwachsen. "Ich hoffe, dass die Natur nicht allzu sehr leidet, wenn der dringend benötigte Wohnraum geschaffen wird", sagt Lothar Röth aus Denning. Seit 40 Jahren liebt er den Stadtbezirk Bogenhausen, am meisten für seine Randgebiete mit der freien Sicht auf die Wiesen, Moore und Felder. Röth ist guter Hoffnung. Er kenne kein Projekt, bei dem die Bürger so intensiv beteiligt würden wie hier. "Da macht die Stadt einen super Job", findet der ehemalige Finanzbuchhalter.

Auf der Rückfahrt geht es am Bahnhof Riem vorbei und einmal mehr über Waldböden mit Wurzeln, Steinen und Geäst. "Schaut zum Boden", ruft Krack, "Gleisreste, meterlange gusseiserne Stangen mitten im Waldboden".

Im Gasthof in Daglfing ist Endstation. Von der Anfangsgruppe aus zwölf Radlern sind nach 120 Minuten noch drei Männer übrig; das Triumvirat. Herren, die nicht nur viel Zeit haben, täglich den Ruhestand feiern und in ihrer Heimat mitmischen wollen. Sie sind auch Eisenbahn-fasziniert, sie haben die Bahndamm-Tour ausgetüftelt - der Fernverkehrsleiter, der Bahn-Archäologe und der leidenschaftliche Bahnfahrer Krack. Dass der Altersdurchschnitt der Radl-Truppe auf dieser Tour bei 60 plus liegt, stört sie nicht. "Als junger Bursche wäre ich da auch nicht mitgefahren, ist doch klar", sagt Krack. Jedes Alter habe seine eigenen Reize. Den Jungen gehe es um den Wow-Effekt, den Moment; den Alten ums Sichtbarmachen und Bewahren. Damit in der Heimat für alle was bleibt - wenn man nur genau genug hinschaut.

© SZ vom 11.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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