Historische Kostüme:Schlüsselerlebnisse

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Beim Trachten- und Schützenzug, bei dem 9000 Teilnehmer aus ganz Europa mitmarschieren, findet sich auch ein verlorener Autoschlüssel wieder. Und eine junge Zuschauerin lernt, dass Vordrängen hilft, den Überblick zu behalten

Von Korbinian Eisenberger

Sein Schlüsselerlebnis hat der historische Feuerwehrtrompeter Franz Stanner bereits um kurz nach zehn. Der vordere Teil des Zugs setzt sich gerade erst in Bewegung, da rutscht dem 46-Jährigen der Schlüssel aus dem Gewand. Historische Hosentaschen sind einfach nicht für Autoschlüssel konzipiert worden. Weil damals um 1904 die Löschzüge noch von Pferden gezogen wurden. Da brauchte es bei der Freiwilligen Feuerwehr Reithofen (Landkreis Erding) keine Autoschlüssel. Deswegen, aus historischen Gründen, trägt der Trompeter Stanner an diesem Sonntagvormittag einen Messinghelm mit Rosshaar oben drauf. Er schwingt sich auf ein uraltes Fahrrad, zurück zu seinem Adjutanten, da plumpst der Schlüssel auf den Boden. Stanner hat es nicht bemerkt. Zum Glück aber ein anderer.

Sonntagvormittag im München, beim großen Trachten- und Schützenumzug ziehen 9000 Menschen durch die Innenstadt. Die Straßen sind feucht nach einer regnerischen Nacht. Doch dann, um 9.58 Uhr, wie bestellt: Zwei Minuten vor Zugbeginn schiebt sich die Sonne hinter dem Grau hervor. Anders als in den vergangenen Jahren wird es ein angenehm milder Umzug werden. Perfektes Wetter für die 200 Musikkapellen, Schützenvereine und Spielmannszüge. Weil es zu den Eigenheiten der historischen Tracht zählt, dass man schnell schwitzt oder friert - eine Kleiderordnung, die auf das Jahr 1835 zurückgeht. Damals zogen Trachtler und Schützen zur Silberhochzeit von König Ludwig I. und Therese von Bayern durch die Stadt - 25 Jahre nach der Premiere des Oktoberfests.

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(Foto: Getty Images)

Moriskentänzer zeigen akrobatisches Geschick.

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(Foto: Jan A. Staiger)

Hoch zu Ross bleibt Zeit für ein Späßchen.

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(Foto: Jan A. Staiger)

Von einem Sitzplatz in der ersten Reihe lässt sich das Geschehen gut beobachten.

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(Foto: dpa)

Jäger ziehen mit Hunden durch die Straßen der Landeshauptstadt.

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(Foto: dpa)

Der Trachtennachwuchs hat einen besonderen Platz.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Bayerns Kultusminister Bernd Sibler in Mittelalter-Tracht gehört zum Fußvolk.

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(Foto: Korbinian Eisenberger)

Nolf Hermann ist Mitglied einer Musikkapelle aus Rum bei Innsbruck. Er war 1967 schon einmal beim Umzug dabei.

Der Zug rollt, Viktoria Ostler, das "Münchner Kindl", führt ihn traditionell an, gefolgt von der Ehrenkutsche mit Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und seiner Frau Petra. Etwas weiter hinten fährt Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit seiner Frau Karin - ihre Premierenfahrt in einer in Landesfarben geschmückten Kutsche. Während die Söders weiß-blau in Richtung Festwiese steuern, nimmt auch der Himmel über München wieder seine standesgemäße Farben an. Darunter spielen sich die kleinen Geschichten ab.

"Halt, Sie haben da was verloren." Hornbläser Nolf Hermann winkt mit dem Schlüssel in der Hand, doch der Besitzer kann ihn nicht hören, nicht bei all dem Radau. "1967 war der Zug noch deutlich kürzer", sagt Hermann. Damals brauchte es weniger Seitenstraßen wie jetzt zum Aufstellen. Mittlerweile ist er mit sieben Kilometern einer der längsten Trachtenumzüge der Welt. Hermann, Lederhose, Trachtenjoppe, hat eine echte Adlerfeder am Hut stecken. Der 63-Jährige kommt aus Rum bei Innsbruck und war vor 51 Jahren schon einmal dabei, seither nicht mehr. "1967 waren wir in der Ochsenbraterei", sagt Nolf Hermann. Da war er zwölf, kein Alter für eine Mass Bier. Oder? Die Mundwinkel gehen nach oben. "Des hamm'd Leut damals nicht so eng gesehen."

Oktoberfest
:9000 Trachtler und Schützen ziehen zur Wiesn - mancher nimmt die S-Bahn

Die ganz Kleinen lassen sich im Leiterwagen ziehen. Teils tragen die Teilnehmer historisches Gewand - oder auch mal ein totes Reh. Die Bilder zum Umzug.

Mittlerweile geht es zur Wiesnzeit ganz schön eng her in der Stadt. Das sieht man auch hinter den Absperrungen zum Umzug, wo sich Tausende Menschen drängen. "Wenn Oktoberfest ist, muss man sich auch mal vorschieben", sagt ein Mann zu seiner kleinen Tochter. Weil vorne Erwachsene stehen, und sie hinten nichts sieht. Vorschieben? Also quasi vordrängeln? Erst traut sie sich nicht, und so verpasst sie die Fuhre mit dem Ministerpräsidenten. Dann kommt eine grell leuchtende Kutsche ums Eck, ganz in Gelb. Ein kurzer Blick zum Papa, dann schiebt sich das Mädchen vor.

Wer in so einer Kutsche sitzen darf, hat mit die besten Plätze beim Trachtenumzug erwischt. So wie Karl-Heinz Landenberger, 88, und der siebenjährige Dominik - beide aus Heidenheim. Sie sind die Passagiere einer 80 Jahre alten Postkutsche aus dem Museum für Kommunikation in Nürnberg - ein originalgetreuer Nachbau eines Modells aus dem Jahr 1874. "Ich bin nicht mehr so gut zu Fuß", sagt Landenberger, deswegen sitzt er, der Vereinsälteste, hinten im Passagierraum (was durchaus bequem wäre, wenn nicht die Taschen vom Fußvolk alles zustellen würden). Dominik, der Jüngste, hockt vorne bei den Kutschern, sozusagen in der Poleposition - mit zwei unbezahlbaren Pferdestärken.

Das Oktoberfest beschert den Münchnern einen gehörigen Reibach, vereint aber auch Leute von überall her. Beim Umzug sind dieses Jahr Gruppen aus vielen Teilen Deutschlands, Ungarn, Norwegen, der Schweiz, Bulgarien, Kroatien, Slowenien, Bosnien und Herzegowina sowie Österreich dabei. Einer von ihnen steht jetzt etwas unschlüssig da. Das Tenorhorn in der rechten, den Schlüsselbund in der Linken. Nolf Hermann muss den Eigentümer finden, aber wie? Ein junger Bursche übernimmt das für ihn, sucht sich durch bis zur Zugnummer 41, wo Franz Stanners Feuerwehrler sich aufgestellt haben. So trifft ein Tiroler Schütze einen Erdinger Feuerwehrmann, ohne Gewehr, dafür mit Autoschlüssel, Pauke und Trompete.

© SZ vom 24.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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