Historie:Documenta 1

Lesezeit: 2 min

Den Rohbau des zerstörten Museums Fridericianum in Kassel, hier eine zeitgenössische Ansicht, wählten Arnold Bode und Werner Haftmann für ihre Übersichtsausstellung zur europäischen Nachkriegskunst. (Foto: Visus Vision/H.Homburg/Dr.Müller)

Das Augustinum zeigt eine Film-Doku über die erste Kasseler Schau 1955

Von Stefanie Schwetz

Hasenbergl - Am Anfang war die Vision, alles wieder lebendig werden zu lassen: die erste Documenta 1955 in Kassel. Doch dann wagten sich Peter Schima und Bernd Scott tatsächlich an eine filmische Dokumentation der damaligen Ereignisse. "Documenta 1955 - Der Film, der nie gedreht wurde", so der Titel des Streifens, der nun im Augustinum München-Nord gezeigt wird. Ein 70-minütiges Zeitzeugnis, das erst im Jahr 2016 entstand, ist diese nie gedrehte Doku, die davon berichtet, wie der Kunstprofessor Arnold Bode gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Werner Haftmann zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs eine Ausstellung für zeitgenössische Kunst auf die Beine stellte.

Filmaufnahmen von diesem Ereignis gibt es nicht. Deshalb griffen Schima und Scott auf insgesamt 107 historische Fotografien zurück, die alle aus dem Documenta-Archiv stammen. Sie waren Grundlage für das Drehbuch-Konzept, mit dessen Hilfe schließlich eine filmische Einheit aus Bildern, gesprochenem Text und Musik entstehen sollte. Einen ebenso geschickten Umgang mit Unzulänglichkeiten beherrschte auch Documenta-Gründer Arnold Bode. Ohnehin bestanden der Alltag und das kulturelle Leben zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs vielfach aus Provisorien. Auch Bode hatte eine Vision. Bereits kurz nach dem Krieg hegte er den Plan, eine Ausstellung zu konzipieren, die eine Übersicht der europäischen Kunstentwicklung im 20. Jahrhundert lieferte. Unterstützt wurde er von Werner Haftmann, dessen kunsthistorische Kenntnisse die moderne Kunst endgültig von der nationalsozialistischen Diffamierung befreien sollten. Dabei bewiesen die beiden einiges Improvisationstalent und machten aus dem behelfsmäßig hergerichteten Gebäude des kriegszerstörten Museums Fridericianum am Kasseler Friedrichsplatz, ohne die Mängel zu beschönigen, einen wirkungsvollen Ausstellungsort: rohes Mauerwerk, Eisenträger und riesige transparente Vorhänge, dazwischen Werke von Hans Arp und Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner, Joan Miró oder Kurt Schwitters.

All das sieht man auch in dem Film von Schima und Scott, der letztendlich eine illusionistische Bildkomposition aus alten Fotos ist. Und während eine virtuelle Kamera über die unbewegten Bilder hinweg gleitet, heranzoomt, sich wieder entfernt, entsteht mit Hilfe einer Software aus jeder fotografischen Aufnahme ein historisches Szenario von räumlicher Tiefe. Dazu Informatives aus dem Off, begleitet von Klaviermusik. Seit dreißig Jahren produzieren Schima und Scott gemeinsam Filme und entwickeln dazu die für ihre Projekte notwendigen Computerprogramme. Das Fotomaterial für den Documenta-Film bezeichnet Bernd Scott, der gleichzeitig Direktor des Kasseler Technik-Museums ist, als "Schatz", der geborgen werden musste. Dazu kommt, dass er und sein Partner begeisterte Documenta-Anhänger sind. Denn wer selbst dort lebt, wo alle fünf Jahre die größte Schau für zeitgenössische Kunst ausgerichtet wird, weiß auch um die Bedeutung dieses Ereignisses für die Stadt. Insofern dokumentieren Peter Schima und Bernd Scott mit ihrem Film ein Stück Zeit- und Stadtgeschichte. Documenta 1955 - fast könnte man meinen, der Film wurde doch gedreht.

"Documenta 1955 - Der Film, der nie gedreht wurde", Donnerstag, 6. Juli, 19 Uhr, im Theatersaal des Augustinums München Nord, Weitlstraße 66.

© SZ vom 30.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: