Hinter Glas:Sehnsucht nach Kiefer-Muskelkater

Lesezeit: 2 min

(Foto: Stephan Rumpf)

Schätze im Kaugummmiautomaten an der Schwanthalerstraße

Von Andrea Schlaier

Wer als Kind von diesem Ritual auf dem Schulweg nicht enttäuscht wurde, bleibt ihm ein Leben lang treu. Irgendwo zwischen klebrigen Bonbon-Papierchen, Spitzer-Schnipseln und gesammelten Blumenresten versteckte sich immer ein Zehn-Pfennigstück. Also rauskramen, Brösel abwischen und das schimmernde Zehnerl in die ovale Aussparung schieben. Sodann das Objekt der Begierde mit den Augen hinter der Scheibe ausmachen: Das zarte Goldblech-Ringlein oder den grünen Hüpfball, der damals noch nicht "Flummi" hieß, oder wenigstens einen von den steinharten Kaugummis. Selbiges mit magischem Blick bannen, auf dass es sogleich auf der anderen Seite des Glases erscheine. Schwarzen Hebel um zehn Minuten nach rechts drehen. Dumpfes Klacken abwarten. Metalldeckel heben und, ha: Ein blaues Ringlein liegt in eine durchsichtige Plastikkapsel gepackt im Geburtskanal des Kaugummiautomaten. Bauer Braun hat den heute noch an der Stallwand Stall zur Straße hängen.

Jahrzehnte später kommt man in kaum einer Stadt an den Metallkästen vorbei, die bis heute ohne jeden pekuniären Druck stoisch der Kundschaft harren. Wann immer sich eine Münze zwischen Brillenputztüchern und Bonbon-Papierchen finden lässt, rein damit. Wir bleiben treu. Oft kommt's aber nicht mal mehr zum Klacken. Die Dinger sind eingerostet.

Neulich dann an der Schwanthalerstraße. 20 Cent rein und: Klong! Den Metalldeckel zum Geburtskanal des Kaugummiautomaten () gelüftet. Darin ruht groß und schwer eine kugelrunde, gelbe Sonne. Passt kaum zwischen die Zähne und üfft fooo hart, dass man sehr bewusst registriert, bereits die zweiten Zähne zu haben. Also, langsam anweichen und dann mit sanftem Druck arbeiten. Dicke Brösel spalten sich ab und morgen wartet Kiefer-Muskelkater. Ein Traum. Auch wenn die Sonne so schnell ihren Geschmack verliert wie sonst nur die Regenwald-Kaugummis aus dem Bio-Supermarkt. Dafür bleibt Zeit hinters Glas zu linsen. Was sich als gar nicht so einfach erweist, weil Löwen-Fans auch hier ihren Abdruck hinterlassen haben. Und bei den Nachbarn im Kasten, den Flummis, ist der Werbe-Kleber so groß, dass es schon einen ganz durchdringenden Blickes Bedarf, um hinter die Scheibe irgendetwas zu erkennen.

Die Befüller setzen augenscheinlich aufs Prinzip Adventskalender. In undurchsichtigen Sackerl ist ja auch gern mal was drin, was man nicht soooo dringend braucht. Und pfeilgrad: Ein paar Tage später wieder an derselben Stelle, Schwanthalerstraße. Völlig neue Ware im Kasten, quasi neues Sackerl. Diesmal muss ein Fuchzgerl ins Oval gesteckt werden. Und drehen. Eine transparente Plastikkapsel macht sich auf den Weg. Darin schlummert Erstaunliches: Rot, klumpig und klebrig. Gummi-Spielzeug? Wir wollen nicht undankbar sein.

Mit der Adventsserie "Hinter Glas" schaut die Stadtviertel-Redaktion hinter sehenswerte, nicht nur weihnachtlich geschmückte Fenster.

© SZ vom 17.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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