Hinter Glas:Blutegel an Weihnachtsdeko

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Im Schaufenster der Apotheke steht in einem Regal ein Glas mit saugenden Egeln. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Ludwigsapotheke verkauft Tiere aus dem Wasserglas als Medizin

Von Nicole Graner

Die Internationale Ludwigsapotheke in der Fußgängerzone hat ein Geheimnis: Im Labor des Untergeschosses leben 65 Tierchen - in zwei mit lauwarmem Wasser gefüllten, mit Geschirrtüchern abgedeckten und mit Gummis fest umschnürten Gläsern: "Unsere Luigis wohnen da", sagt die leitende Apothekerin Louisa Huber und lacht. Wer wohnt da? Luigis? "Unsere Blutegel." Im Labor der Apotheke ist es schön dunkel, das lieben die Tiere. Schwimmen im Wasser, haben sich an den Glaswänden festgesaugt oder umringeln besondere "Egelsteine". Manche länger, manche klein. Auch im rechten Schaufenster der Apotheke steht in einem Regal ein Glas (), sogar weihnachtlich geschmückt mit zwei roten Kugeln und einem Tannenzapfen. Da ist es zwar heller als im Labor, aber nicht so, dass es die Tiere stresst. Denn grelles Licht, Zigarettenrauch und Lautstärke mag die Spezies "Hirudo medicinalis" gar nicht.

Schon nach dem Krieg habe es in der Apotheke, die 1827 eröffnet wurde und in der viele Sprachen gesprochen werden, Blutegel gegeben, erzählt die 53-jährige Apothekerin. Gerade Kriegsversehrte seien dann gekommen, Menschen, die zum Beispiel Körperteile verloren hätten. Denn die Tiere mit ihren scharfen Zähnchen wurden dann rund um die Wundnaht gesetzt und halfen, die Durchblutung zu fördern. Das war nicht nur damals so. Auch heute werden die Blutegel in der Naturheilkunde und sogar in Kliniken eingesetzt. "Es kann sein", erklärt Huber, "dass eine Klinik anruft und 50 Stück braucht". Auch viele Kunden kommen und kaufen sie. Bei Venenerkrankungen, Prellungen oder Gelenkabnutzungen. Und gern auch Damen, um Fältchen zu verringern.

Ein bisschen zwicke es wohl schon, wenn die Tiere angesetzt würden. Wie ein leichtes Brennen, sagen Ärzte. "So wie beim Spritzensetzen", glaubt die 53-Jährige, die allerdings selbst noch nie Blutegel benutzt hat. Sie sei ehrlich, sagt sie, es seien nicht so ganz ihre Tierchen. Doch in der Apotheke werde immer mal wieder unter den Angestellten der Titel "Blutegel-Flüsterer" vergeben. Weil sie es gut könnten mit den Tieren. Denn die schwarzen Zwitter müssen gepflegt werden, brauchen regelmäßig frisches Wasser und müssen zweimal die Woche gewaschen werden. In einem Sieb. Kein ganz leichtes Unterfangen, weil sie nicht gequetscht werden dürfen und schneller abhauen, als man denkt.

Auch wenn die Egel aus der Biebertaler Blutegelzucht in der Ludwigsapotheke liebevoll versorgt werden - nach dem Verkauf müssen sich alle von ihnen verabschieden. Denn sie kehren nicht mehr zurück. Medizinische Blutegel werden nur einmal benutzt. Damit keine Krankheiten übertragen werden können. Aber dann haben die "Luigis" sehr viel Gutes getan.

Mit der Adventsserie "Hinter Glas" schaut die Stadtviertel-Redaktion hinter sehenswerte, nicht nur weihnachtlich geschmückte Fenster.

© SZ vom 14.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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