Hinter Glas:Bilder des Glücks und des Schmerzes

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In den Fenstern der Burgstraße. (Foto: Robert Haas)

Eine Fotoausstellung richtet den Fokus auf Menschen mit Handicap

Von Nicole Graner

Anouk hat ihren rechten Arm um die Schultern ihrer jüngeren Schwester Lucie gelegt. Und Lucie den linken auf die Hüfte von Anouk. Sie lachen in die Kamera, ein bisschen schüchtern vielleicht, aber in sich ruhend und glücklich. Beide Mädchen, in der Mitte des Bildes stehend, wirken sehr vertraut miteinander. Diese stille und so selbstverständliche Einheit in Zweisamkeit ist schön zu sehen.

Noch einmal schaut man auf die Fotografie, die neben anderen, genauer gesagt, bald 24 Bildern in den Fenstern der Burgstraße 4 () zu sehen ist, geht näher heran - und erst dann sieht man es: Anouk ist ein Mädchen mit Down-Syndrom. Der 16-jährige Bruder der beiden, Lennart, hat das Foto gemacht, und er hat Anouk allein noch dreimal in das Foto hineinmontiert. Kurz gefasst: Vier Mädchen mit Down-Syndrom und eines ohne. Die Wirklichkeit auf dem Foto ist verschoben. Genau das wollte Lennart erreichen.

"Wie sähe die Gesellschaft aus, wenn wir Gesunde in der Minderheit wären?", erklärt die Vorstandsvorsitzende des Behindertenbeirats München, Nadja Rackwitz-Ziegler, Lennarts Bildidee und das Foto, das Teil des Foto-Wettbewerbs "Selbstbestimmt! Was heißt hier Inklusion" war. Die Bilder der Ausstellung, die allesamt Münchner aufgenommen haben und die im Sommer im Stadtmuseum zu sehen waren, sind noch einmal zu einem besonderen Adventskalender geworden. In den Fenstern der Burgstraße 4, leider ein bisschen versteckt und ohne gutes Licht, erzählen sie von gelebter Inklusion, vom Glück der Menschen mit Behinderung: Wenn sie Sport machen, mit Freunden unterwegs oder verliebt sind.

"Wir wollten das Thema der Wanderausstellung noch einmal in die Gesellschaft tragen", sagt Rackwitz-Ziegler. Zeigen, dass Behinderte so viel machen können, selbstbestimmt entscheiden und damit teilhaben am gesellschaftlichen Leben. Noch immer, sagt die 53-Jährige, werde in der Gesellschaft bei Menschen mit Behinderung mehr der Unterschied wahrgenommen, also das Trennende, viel zu wenig das Einende. Die Fotos dieses besonderen Adventskalenders aber zeigen genau das: Ob ein Chromosom zu viel, ob im Rollstuhl oder mit anderem Handicap - allen hier Abgebildeten ist eines gemeinsam: das Glück, die Freude und der Schmerz.

So sieht man die Bilder, freut sich an der Lebensfreude jener Menschen hinter Glas. Gerne hätte man sie ganz groß gesehen, Anouk und wie sie alle heißen. So hofft man auf neue Geschichten im kommenden Advent. Denn man möchte sie wahrnehmen, die Down-Kinder, die Rollstuhlfahrer und Menschen mit anderen Behinderungen - "weil sie noch immer nicht genug sichtbar sind in unserem Stadtbild" - wie Rackwitz-Ziegler sagt.

Mit der Adventsserie "Hinter Glas" schaut die Stadtviertel-Redaktion hinter sehenswerte, nicht nur weihnachtlich geschmückte Fenster.

© SZ vom 19.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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