Expertenrat für Unternehmen:Sensibilisieren gegen sexuelle Übergriffe

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  • Seit kurzem bietet der Frauennotruf München ein Seminar an, um sexueller Belästigung in Unternehmen vorzubeugen.
  • Laut einer Studie wurde jede und jeder Zweite schon am Arbeitsplatz sexuell belästigt.
  • Die wenigsten Fälle von sexueller Belästigung werden thematisiert, viele wären aber schon durch ein klärendes Gespräch zu beheben - denn manchen Tätern ist ihr Fehlverhalten nicht bewusst.

Von Bernd Kastner

Immer die Männer, diese tollen Typen mit ihren Sprüchen und ihren Händen? Nein, sagen die Frauen am Küchentisch, nicht nur Männer. Auch Frauen seien es, die Grenzen überschritten. Die Grenzen zur sexuellen Belästigung, vor allem am Arbeitsplatz. Eine Gruppe von Expertinnen sitzt in vertrauter Runde beim "Küchengespräch" in der Geschäftsstelle der Hilfsorganisation Frauennotruf, um sich auszutauschen über ein Phänomen, das Opfer oft enorm belastet: Angst- und Schlafstörungen, Albträume, Beziehungskonflikte sind die Folge. Seit Kurzem bietet der Frauennotruf Unternehmen ein Präventionsseminar an, um die Mitarbeiter zu sensibilisieren - dass sie sich wehren, oder dass sie erst gar nicht zu Tätern werden.

Unerwünschte Berührungen, ständiges Anstarren

Die Schränke sind rot, die Eckbank ganz neu, es gibt Baguette und Brezen, Paprika und Gurkenscheiben. Ingrid Reich vom Frauennotruf nimmt eine neue Offenheit wahr. Vor Kurzem hat eine Studie ergeben, dass etwa jede und jeder Zweite schon sexuell belästigt worden sei, sei es durch unerwünschte Berührung, sei es durch permanentes Anstarren. Reich sieht in diesen Zahlen eine Chance, mehr Bewusstsein zu schaffen. Vielleicht so, wie es Susanne Henke konkret erlebt hat, bei einem Lehrer, den sie zum "Sensibilisierungsgespräch" einbestellte.

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Henke arbeitet in der zentralen Beschwerdestelle für sexuelle Belästigung im Rathaus, und als sich Schüler bei ihr beschwerten, erklärte sie dem Pädagogen, was seine anzüglichen Kommentare bewirkten. Der Mann sei entsetzt gewesen - von sich selbst: "Um Gottes willen, das tut mir leid", habe er gesagt. "Ich wollte das so nicht." Henke geht es weniger um Sanktionen, vielmehr um Einsicht: "Ich hatte den Eindruck, dass es ihn getroffen hat, was er angerichtet hat."

"Das muss ich aushalten"

Die Expertinnen sind sich sicher, dass die wenigsten Fälle von sexueller Belästigung thematisiert werden, ganz zu schweigen von einer Anzeige bei der Polizei. Viele Frauen, berichtet Cordula Weidner vom Frauennotruf, seien sich oft gar nicht bewusst, dass das Erlebte ein Übergriff sei, wie ihn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet. "Das muss ich aushalten", sei eine verbreitete Haltung. Die Grenzen seien fließend und ganz individuell: Wann ist eine Bemerkung ein Kompliment und wann ein Übergriff? Wenn jemand sich belästigt fühle, dann dürfe er oder sie das auch so benennen, ist der Tenor der Runde.

Die eigene Grenze zu finden aber sei nicht einfach in einer "hoch sexualisierten Alltagswelt", in der in jeder Straße, an jedem Kiosk nackte Haut zu sehen ist, sagt Andrea Mager-Tschira vom städtischen Gesundheitsreferat. "Bin ich prüde? Bin ich zickig? Oder kann ich so selbstbewusst sein und sagen: Das will ich nicht?" Die letzte Frage ist rhetorisch gemeint, natürlich plädieren die Frauen am Küchentisch dafür, Grenzen zu ziehen.

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Darf ein Mann im Netzhemdchen am Schalter sitzen?

Sie wollen vor allem junge Frauen sensibilisieren, wie sie auf andere wirken. Die Küchen-Runde ist unverdächtig, in den Chor derer einzusteigen, die Frauen im Minirock eine Mitschuld geben, wenn sie vergewaltigt werden. Aber sie müssten sich bewusst sein, wie manche Männer reagierten, und sei es "nur" verbal, wenn sie spärlich bekleidet sind. "Die Sensibilisierung ist sehr, sehr wichtig", sagt Almut Büttner-Warga von der Gewerkschaft Verdi. Nicht immer sei ein Oberteil mit Spaghettiträgern die passende Kleidung, sagt auch Sabrina Courtial vom Frauennotruf und wählt diesen Vergleich: Was wäre, wenn ein Mann im Netzhemdchen am Schalter Kunden gegenübersäße? Das gelte als unangebracht. Und bei Frauen?

Vor allem wünschen sie sich am Küchentisch mehr Courage, von Belästigten und denen, die davon erfahren. So wie jene Ausbildungsleiterin bei der Stadt, an die sich eine junge Mitarbeiterin gewandt hatte. Die Vorgesetzte gab der Auszubildenden Rückendeckung, diese wehrte sich, und der Mann muss sich nun unangenehme Fragen gefallen lassen. Das Opfer habe nicht klein beigegeben. Mitunter, sagt Cornelia Lohmeier, Vize-Chefin der städtischen Gleichstellungsstelle, helfe auch schon, wenn ein Kollege dem anderen zu verstehen gebe, dass er zu weit gehe: "He, wie du mit der redest - geht's noch!"

© SZ vom 04.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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