Hamburger Maler präsentiert sich:Raum für Erträumtes

Lesezeit: 4 min

Bernd Harms will mit seinen Bildern Geschichten erzählen. Eine digitale Ausstellung in Martinsried

Von Nicole Graner

Auch wenn man sein Atelier im Kunstwerk am Hamburger Fischmarkt gar nicht kennt, so weckt die Begegnung mit Künstler Bernd Harms die Vorstellungskraft: Wie er dort malen könnte, wie seine Bilder beginnen, Detail um Detail, Geschichten zu erzählen. Rockmusik könnte aus dem Raum zu hören sein oder Jazz. Warme Trompeten-Töne von Till Brönner zum Beispiel. Dann könnte Harms leger in T-Shirt und Jeans vor seiner Staffelei stehen. Mit zerzausten Haaren, ein bisschen nachdenklich, den Pinsel in der Hand, den Arm ausgestreckt, um mit Druck kleine Farb-Rinnsale auf der Leinwand entstehen zu lassen. Er dürfte mit einem kleinen Silikon-Spachtel Farbschichten ineinander drücken und mit einem hauchdünnen Pinsel Linien ziehen. Vielleicht hat er eine Idee, lässt das eine Bild stehen und beginnt mit einem neuen - und vielleicht vergisst er darüber die Zeit.

Eines allerdings ist auch ohne Spekulation sicher: Bernd Harms ist ein Mensch, der in sich ruht, der weiß, dass die Malerei gefühlt schon immer zu ihm gehört hat, und der sich freuen kann am Schönen, am Gegensätzlichen. Am Kleinen und Ungewöhnlichen. Das sagt der fröhliche Blick seiner Augen. Sichtbar - trotz FFP2-Maske. Das beweist sein Humor, mit dem er sich und seine Arbeiten beschreibt, die gerade im Foyer des Max-Planck-Instituts für Biochemie in Martinsried ausgestellt sind.

Eine unheimliche Gesellschaft Kostümierter bevölkert das Werk "Early twenties tango". Reproduktion: Bernd Harms/oh (Foto: N/A)

Das Bild ("Licht", 2020) ist düster. Irgendwo an einem Ort hat der 71-jährige Künstler einen Metallcontainer entdeckt. Die in Braun-, Rost- und Grautönen gehaltene Wohnschachtel steht auf dunklem Boden. Versetzt mit Sand- oder Moos-Elementen. Ob da noch jemand wohnt? Was hat den Menschen wohl hierher in das Unwirtliche verschlagen? Es ist Nacht, aber hinter dem Container hellt es plötzlich auf, Licht drückt sich durch den tief blauschwarzen Himmel. Und dann entdeckt man einen kleinen, hellblauen Fleck. Was das wohl sein könnte? Ein Gartenstuhl vielleicht. "Okay", sagt Harms und seine Augenwinkel ziehen sich zu kleinen Lachfalten zusammen, "dann wird es wohl einer sein".

Ein anderes Bild, eines das er liebt, und das, wie all seine Arbeiten mit Musik entsteht. Mit Claudio Monteverdis "Vespro della Beata Vergine" oder Norah Jones zum Beispiel. "Widukind" (2020) nennt er seinen gemalten Blick auf die Pfahlbauten am Nordseestrand. Das Wasser kommt aus dem Boden, aus Sand, Schlamm und Erdreich. Grenzen verfließen, und das Licht, das sich im Wasser spiegelt, leuchtet. Akkurat dagegen das auf unzähligen Pfählen stehende Gebäude. Klare Linien und exakt gemalte Holzstangen. "Mit dem Drei-Haar-Pinsel gemalt", würden seine Atelierkollegen sagen, , wie Harms erzählt. Und wieder ersinnt der Betrachter selbst eine Geschichte. Überlegt, ober er wohl trockenen Fußes zum Gebäude gelangt? Wann wohl das Wasser aufsteigt und das Holzkonstrukt verschwinden lässt?

Menschenleer und gesichtslos: Im Bild "Licht" ist die Welt ein verlassener Ort. Reproduktion: Bernd Harms/oh (Foto: N/A)

Geschichen. Das ist das Stichwort. Harms will Geschichten erzählen. Oder zumindest die Grundlage dafür erzeugen. Und da ist es wichtig, dass nicht alles glatt vorgelegt ist, sondern Reibungen eine Auseinandersetzung mit dem Gesehenen forcieren. Auberginefarbene Himmel, grüne Häuser, ein Bild an der Wand, rote Mohnblumen im Irgendwo oder schlicht und einfach der Dreck auf dem Fußboden einer Dachterrasse. Ungewöhnliche Blickwinkel also, die guter Stoff für Geschichten sind. "Die Malerei gibt das alles her", sagt Harms. Das Spiel mit den Gegensätzen wie Licht und Schatten, wie das Marode und Heile, das Graue und Farbige. Und der Wechsel von Acryl- und Ölfarbe. Erst grundiert der Künstler die Bilder mit Acryl, dann werden die Motive in Ölfarbe herausgearbeitet. "An fünf, sechs Bildern male ich daher gleichzeitig", sagt Harms. Denn die Ölfarbe brauche ja länger zum trocknen.

Harms erzeugt große Stimmungen, die nicht verzaubern, aber wie Bühnenbilder den Raum für Erträumtes schaffen. Mal wirken sie wie fotografierte Hintergründe: gestochen scharf, mit klaren Formen und Linien. Mal sind es ausgefranste, gespachtelte und konturenlose Himmel oder Untergründe. Lange recherchiert der Künstler Themen, lange überlegt der Künstler, der in Braunschweig geboren und in Hannover zur Schule gegangen ist, wie Stimmungen oder "extreme Empfindungen" malerisch entstehen können. Wie sich das Licht bewegt. Erst dann nimmt er den Pinsel zur Hand.

Der Hamburger Künstler Bernd Harms. (Foto: Sigi Müller/oh)

Die Malerei ist für Bernd Harms, der an der Kunstschule Blankenese studiert hat, sein Fundament. Das war sie schon immer, wie er sagt. Schon als Kind habe er irgendwo "im Busch gesessen und gezeichnet". Hatte das Gefühl, in der Kunst geborgen zu sein. Doch etwas "Ordentliches" musste gelernt werden. Er wurde Lehrer an einer Schule für technische Berufe. Lange, fast 30 Jahre, unterrichtete er. Mit Freude, wie er sich erinnert. Und weil es schön gewesen sei, mit den Schülern etwas zusammen zu entwickeln. Doch die Malerei blieb seine Geliebte. Er malte, studierte und gründete eine Künstlergemeinschaft. Sein Atelier wurde und ist für den Ehemann und Vater von zwei Söhnen und einer Tochter bis heute ein Rückzugsort - eine Oase für sich selbst.

Das Figürliche hat Bernd Harms gerade neu für sich entdeckt. Seine Bilder, sonst eher menschenleer, bekommen eine neue Perspektive. Wenn natürlich trotzdem die Reibung nicht fehlen darf. So haben seine Menschen meist keine Gesichter, wirken oft nur wie Statisten in einem großen Ganzen. Das jüngste Bild, das der Ausstellung auch den Titel gibt, nennt Harms "Early twenties tango". Eine Gruppe von Schauspielern in Kostümen und mit Masken, also wieder gesichtslos, stehen oder sitzen auf einem Podest. Sie blicken ins Publikum, das es nicht gibt. Das böse Wort mit "C" hat die Kunst lahm gelegt. Doch im Miteinander finden sie Stärke - und auch Hoffnung. Diese hat Bernd Harms sowieso nie abgelegt. Dazu hat er viel zu viel zu erzählen. An seiner Staffelei in seinem Atelier. Am Hamburger Fischmarkt.

"Early twenties tango": Ausstellung mit Bildern von Bernd Harms, Max-Planck-Institut Martinsried. Nur virtuell zu sehen unter https://www.youtube.com/watch?v=_E_PvhX0ONE. Weitere Informationen unter www.berndharms.de

© SZ vom 06.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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