"Green Glamour":Mailänder Wäldchen

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Andere Städte haben mit bepflanzten Häusern schon Erfahrung

Von Gerhard Matzig, München

Grüner wird's nicht in der Welt des Bauens. Oder doch? Gemeinhin ist das eine Welt, die vor allem aus Stahl, Glas und Beton besteht. Derzeit aber wuchern - man muss das so sagen - in den Architekturbüros eher Efeu, Clematis oder Kletterrosen. Zumindest auf dem Papier. Dort verwandelt sich die Welt der grauen Häuser gerade in ein grünes Flora-Reich. Wie nie zuvor beschäftigen sich die Architekten mit "Living Walls", mit begrünten Fassaden, Dachgärten und sogar ganzen Hochhäusern, die dann aussehen wie zusammengerollte Moosteppiche. "Green Glamour" ist der Architekturtrend der Stunde.

Diese Utopie ist auch jenseits vom Kurzschluss aus Öko-Mode und architektonischer Fantastik relevant. Denn angesichts des "urbanen Millenniums", von dem die UN spricht (in der Annahme, dass bis zum Jahr 2050 zwei Drittel der Weltbevölkerung in Megacitys leben), könnten begrünte Häuser die Lösung eines gewaltigen Problems darstellen: Städte verursachen den Großteil des weltweiten Energiebedarfs; begrünte Häuser wirken sich aber in vielerlei Hinsicht positiv auf das Klima aus.

Wie zum Beispiel der "vertikale Wald", der bis Oktober 2014 mitten in Mailand als "Bosco Verticale" entstanden ist. Stefano Boeri hat die beiden Wohn-Türme, 76 Meter und 110 Meter hoch, entworfen, denen auf allen Seiten weit auskragende Balkone entwachsen, die insgesamt 900 große Bäume sowie 2000 Pflanzen und Sträucher aufnehmen. In Mailand, einer der dichtest besiedelten Großstädte Europas, wo die Luftverschmutzung besonders hoch ist, bietet der vertikale Wald, wie Boeri erklärt, "eine Vielzahl von Vorteilen". Allein der Schatten der Pflanzen reduziere im Sommer die Temperatur in den Wohnungen um zwei Grad. Und im Winter dienen die Pflanzen beziehungsweise das Geäst als eine Art Wärmepuffer - was Heizenergie spare. "Außerdem werden die Feinstaubemissionen und der Kohlendioxidausstoß absorbiert." Auch die Lärmbelästigung sei deutlich geringer durch das Grün. Ganz billig ist so etwas übrigens nicht zu haben: Sieben Euro pro Quadratmeter kostet die professionelle, gärtnerische Pflege des vertikalen Waldes, der dafür jenes Grün in die Stadt bringt, das auf versiegeltem Stadtterrain Mangelware ist.

Auch aus Wien, wo vor fünf Jahren das sechsstöckige Hauptgebäude des Abfallamtes mit Grasnelken, Lavendel, Thymian und Schafgarbe bepflanzt wurde, befestigt mit Hilfe von Metalltrögen und Tongranulat, ist durchweg Positives zu hören. Untersuchungen der Universität für Bodenkultur, die das architektonische Experiment von Anfang an begleitete, ergaben: Im Sommer schützt die grüne Fassade hervorragend vor Hitze. Das kann, gemessen an der Fassadenoberfläche im Vergleich zu einer herkömmlichen Putzfassade, bis zu 15 Grad ausmachen. So spart man sich die Klimaanlagen. Und im Winter ist die Fassade drei Grad wärmer. Das spart wiederum Heizenergie.

In Paris wird mit grünen Häuserwänden schon länger experimentiert: Dort wurde die Fassade des Museums am Quai Branly nach Plänen des Botanikers Patrick Blanc, ein Pionier der Wiesen-Wände, bereits im Jahr 2005 begrünt. Zwei Jahre später wagte man Ähnliches auch in Hoyerswerda am elfgeschossigen "Lausitztower". Der, ein früherer, typischer DDR-Plattenbau, wurde vom Münchner Architekten Muck Petzet saniert, umgestaltet und mit einem "vertikalen Park" umhüllt - bestehend aus Kletterpflanzen. Die Erfahrungen damit waren nicht rundum gut. So haben sich etwa die Bewohner auf der mit Balkonen besetzen Nordwest-Seite gegen die gelegentlichen Dienste der Gärtner, die dazu die Wohnungen betreten mussten, gewehrt. Man ließ die Pflanzen zum Teil vertrocknen. Mittlerweile ist die Balkonseite wieder kahl.

Grüne Fassaden sind eben immer noch etwas für Pioniere. Allerdings: Kletterpflanzen sind zähe Überlebenskünstler. Sie werden sich durchsetzen. Vielleicht ja sogar irgendwann in München, wo man Visionen oder Utopien schon ausgestorben wähnte.

© SZ vom 03.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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